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I. Buch B 111: K. Oldenberg, Die Konsumtion.
§ 1. Die Literatur.
Was die nationalökonomische Theorie von der Konsumtion zu sagen hat, gehört
nicht nur zu ihren am meisten vernachlässigten Partien, sondern es hat in der An
ordnung der Lehrbücher nicht einmal den ihm gebührenden Rangplatz. Im besten
Falle erscheint es als Anhang der Lehre von der Produktion und dem Umlauf der
Waren, statt Ausgangspunkt zu sein. Zwar kann die Produktion ihren hohen außer
wirtschaftlichen Kulturwert haben, als Erziehungsmittel und als Trägerin der
Arbeitsfreude; aber unabhängig von diesen wichtigen Nebenwirkungen bleibt doch
das volkswirtschaftliche Ziel der Produktion durch alle privatwirtschaftlichen Ver
hüllungen hindurch im wesentlichen die Deckung eines wirtschaftlichen Bedarfs, die
Konsumtion. Die Analyse der Volkswirtschaft muß daher, wenn man nicht alle
Zielsetzung ausschalten will, vom Bedarfe der Konsumenten ausgehen.
Diese Verkümmerung der Konsumtionslehre wird aus der Geschichte der Natio
nalökonomie einigermaßen verständlich. Die merkantilistische Nationalökonomie
des 16.—18. Jahrhunderts betrachtete die Volkswirtschaft vom Standpunkt des
geldbedürftigen Landesherrn als fiskalisches Nutzungsobjekt; die klassische englische
Nationalökonomie des 18. und 19. Jahrhunderts betrachtete sie als eine Tausch
wertfabrik. Der Begriff des Gebrauchswerts der Güter iür den Konsu
menten, von der Physiokratenschule des 18. Jahrhunderts in die Nationalökonomie
eingeführt und von ihr gepflegt, spielt daher in den Lehrbüchern der klassischen
und neueren Nationalökonomie *) neben dem fast alleinherrschenden Tauschwert
meist nur noch die Rolle eines pensionierten Grundbegriffs, der der Vollständigkeit
wegen flüchtig dem Leser vorgestellt wird, und selten dringt die Betrachtung bis
zum Gebrauchszweck der Tauschwerte, zur Konsumtion vor. Und wenn auch
Adam Smith (1776) den Leser durch die gelegentliche Bemerkung überrascht:
consumption is the sole end and purpose of all production 2 ), und ein Jahrhundert
später J e v o n s (ähnlich wie in Deutschland Dühring) stoßseufzt: we, first of all,
need a theory of consumption of wealth, so ist doch namentlich in den englischen Lehr
büchern die Konsumtionslehre Aschenbrödel geblieben; teilweise wurde selbst die
Existenzberechtigung eines besonderen Kapitels über die Konsumtion in Abrede
gestellt. Obwohl die Freihandelslehre mit ihrer Parteinahme für billige Warenpreise
zu einer Ehrung des Konsumenten-Interesses führte, wie bei dem rhetorischen Schön
schreiber Bastiat, und obwohl das praktische Bedürfnis der Volkswirtschaft nach
schneller Kapitalbildung in die Probleme der Ausgabenwirtschaft: Sparsamkeit und
Luxus 3 ) hineinleitete, so blieb doch das von J.-B. S a y eingeführte Kapitel „Kon
sumtion“ dürftig, auch wenn man es mit einer Lehre von den fiskalischen Ausgaben
und Schulden ausstopfte. Das sozialpolitische Interesse des 19. und 20. Jahrhunderts,
hat dann der Konsumtionslehre ein ausgiebiges neues, freilich wieder überwiegend
privatwirtschaftliches Gebiet im Studium der Familienbudgets und Haushalts-
*) Mit Ausnahme der mehr privatwirtschaftlichen Grenznutzenlehre.
2 ) Wealth of nations, Buch 4, Kap. 8 gegen Ende.
3 ) Vgl. Sommerlad, Art. „Luxus“ in der 3. Aufl. des Handwörterbuchs der Staats
wissenschaften, und die dort zusammengestellte Literatur; auch Sombart, Luxus und
Kapitalismus, München und Leipzig 1913.