16
zur Stelle sein. Bei allen/ Finanzaktionen wird aber natürlich das kapitalistische
Profitinteresse ausschlaggebend sein.
Für die innige Verknüpfung unserer Qeldwirtschaft mit dem Auslande, für die
die Valutaschwankungen den besten Maßstab'liefern, ist der wirtschaftliche Zusam
menbruch die hervorragende Ursache, aber zu keiner Zeit ist diese Abhängigkeit
von Deutschlands Finanzlage vom Weltmarkt eine so absolute gewesen wie
heute. Um so toller erscheinen alle Versuche der reaktionären Verzweiflungs
politiker in Deutschland, durch politische und militärische Unternehmungen diesen
Tatsachenberg granitener wirtschaftlicher Verhältnisse hinwegzurücken.
Das Finanzkapital hat seinem Wesen nach übernationale Tendenz, und die
Finanzlage eines modernen Großstaates (in der heutigen Zeit aber auch eines
rückständigen Agrarlandes oder eines kolonialen Gebietes), wird immer an wenigen
weltzentralen Stellen, in London, in Neuyork, in Amsterdam, bestimmt. Aber kaum
jemals ist die wirtschaftliche Entwicklung 'eines Landes so an internationale Ver
hältnisse und Einflüsse gebunden gewesen, wie die des in der Liquidation befind
lichen Deutschlands.
Die deutsche Kohle, der Lebensnerv der deutschen Industrie, war in ver
gangenen Zeiten doch mehr oder minder eine deutsche Sache. Fleute ist dieses
wichtigste Gut, dieses Brot unseres/industriellen Lebens, internationalen Einflüssen
fast ebenso ausgesetzt wie unsere Finanzen. Um, das Ruhrgebiet haben sich
letzten Endes die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Ententeländer bewegt,
und wir wissen, daß Frankreich das lebhafteste Begehren nach völligem Besitze
dieses Gebietes haben muß, daß 'aber England und Amerika dieses wertvollste
Faustpfand nicht aus der Hand geben werden. Die Krise, die in unserer
Kohlenwirtschaft vorhanden ist, muß als die gefährlichste von den Krisen angesehen
werden, die im Leib Deutschlands gären, weit gefährlicher als die Finanzkrisen.
Wir können uns die Größe und die Furchtbarkeit der ständig drohenden Kohlen
katastrophe gar nicht ausmalen. Lediglich die Tatsache, daß der Ententemilitarismus
in der Lage wäre, das Ruhrgebiet nicht nur zu besetzen, sondern Deutschland von
der Ruhrkohle abzuschneiden, zeigt uns die völlige Abhängigkeit unseres Wirt
schaftslebens von dem Ententemilitarismus. Um so frivoler ist das Spiel, das die
Reaktionäre bei der Auslieferungsfrage und in den Kapptagen mit dem Ruhr
kohlengebiet getrieben haben.
In dem Augenblick, in dem das übrige Deutschland keine Ruhrkohle mehr be
kommt, beginnt die Katastrophe. Es tritt nicht das ein, was wir in -Österreich
erleben — ein langsames Zugrundegehen der Bevölkerung an Unterernährung
und Tuberkulose —, sondern wir stürzen mit dem Auf hören der Kohlen Wirtschaft
direkt in den Abgrund. Abgesehen davon, daß die Industrie, die Gas- und
Elektrizitätswerke nur auf Tage oder Wochen mit Kohle versorgt sind, tritt in
kurzer Zeit eine völlige Lahmlegung des Verkehrs ein, und da die Städte heute
immer nur auf kurze Zeit bevorratet sind, so beginnt alsbald die Hungersitot
in den Städten und all das, was in ihrem Gefolge steht.
Es ist nun ein großer Unterschied, ob eine Bevölkerung ganz plötzlich in den
Abgrund zu stürzen droht oder so wie in Österreich allmählich ans Hungern und
Verhungern gewöhnt wird. Es tritt etwas völlig anderes ein — die akute Kohlen
krise bedeutet inj Deutschland den Aufstand des Volkes, den Verzweiflungskampf,
d. h. den Bolschewismus. (
Die Entente, und vor allem der wirtschaftlich denkende Teil, England und
Amerika, kennt die ungeheure Gefahr dieser Entwicklung, die sie unter allen Um
ständen vermeiden will. Darum hat sie ein geringes Interesse an einer Kohlen
katastrophe in Deutschland, und deswegen wird auch der französische Draufgänger,
dem das Wasser am Halse steht, mit aller Energie zurückgehalten und, wenn es
nicht anders geht, auf andere Gegenden Deutschlands abgelenkt.