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einer äußerst schwierigen parteipolitischen Konstellation gegenüber
gesehen hätte: Daß er von der agrarischen Rechten bekämpft
wurde, versteht sich von selbst; die Sozialdemokratie gewährte ihm
wohl einen gewissen Rückhalt, beteiligte sich vereinzelt sogar an
von ihm arrangierten interfraktionellen Versammlungen, sah aber
naturgemäß in ihm doch eine ■ Uniernehmervereinigtfng, der sie im
Ganzen doch nur kühl gegenübersfand. Das Fatalste aber war
die parteipolitische Zerklüftung der Geschäfts
welt selbst: Weite Kreise, besonders die ganze Schwerindustrie
standen unter reditsnationalliberalem Einfluß, und wollten — aus
dem Gesichtspunkt der gemeinsamen Bekämpfung der Arbeiter
bewegung heraus — mit dem Agrariertum nicht gern verderben,
fürchteten auch zum Teil eine Abschwächung des Zollschubes für
ihre Branche mehr, als die allgemeinen GefahrenTauLonomertioch-
schubzollpolitik, und standen daher dem —von seinen Gegnern zu
Unrecht als „freihändlerisch“ verrufenen H.V.V. wenigstens nur sehr
lau gegenüber. Noch schlimmer aber war die Zerrissenheit des
Freisinns in drei Fraktionen: Die stärkste derselben, die „Frei
sinnige Volkspartei“ behandelte den H.V.V. mit großem Mißtrauen,
ja ausgesprochener Feindseligkeit, weil dessen Gründer Ab
geordneter der „Freisinnigen Vereinigung" war und eine Verstän
digung mit Abgeordneten der freisinnigen Volkspartei sich nicht
ermöglicht hatte — (R. Schmidt-Elberfeld, hatte die Beteiligung an
der Gründung abgelehnt —; in der „Freisinnigen Zeitung“
wurde daher die Auffassung ausgesprochen, daß der neue Verein
im wesentlichen Zutreiber- und Geldsammler-Dienste für die Wah
len der „Freisinnigen Vereinigung“ leisten solle. So stießen in
vielen — wenn auch nicht allen — Gebieten, wo die „Freisinnige
Volkspartei“ dominierte, die Werbungen des H.V.V auf Wider
stand.
Um dieser verhängnisvollen Zerklüftung ein Ende zu machen,
wurde auf Vorschlag des Sekretariats und unter Vermittlung des
bekannten Direktors der Schultheiß-Brauerei Richard Rösicke im
Januar 1902 eine parlamentarische Kommission des
Handelsvertragsvereins geschaffen, in welcher nunmehr
Vertreter aller für Industrie und Handel in Betracht kommenden
Fraktionen einlraten: die Nationalliberalen Exe. Hobrecht, Stadt
rat Reiehardt, Kommerzienrat Zuckschwert; die Volksparteiler Dr.
Crüger, Reinhard Schmidt-Elberfeld, Dr. Gerschel und C. Hell-
i legel; die Mitglieder der freisinnigen Vereinigung Bergrat a. D.
Gothein und H. Frese, (Herr Dr. v. Siemens selbst, war - ein
schwerer Schlag für den H.V.V. - wenige Monate nach der Grün
dung erkrankt und im Sommer 1901 gestorbenl. \
Die Stellung des Handelsvertragsvereins zu
Zollpolitik war niemals, wie von seiner Gegnerschaft
fälschlicherweise behauptet wurde, eine freihändlerische, son
dern nur eine unbedingte Verfechtung der Tarifverträge und