versteht sich von selbst. Wir stellten die Gegenalternative: Meistbegünstigung
für deine Agrarprodukte nur, wenn du in einem langfristigen Tarifvertrag deine
Industriezölle auf einer Höhe bindest, die unserem Export noch ein gedeihliches
Arbeiten ermöglicht; sonst folgen wir den Forderungen unserer eigenen
Schutzzöllner und halten dir gegenüber an der Zollautonomie fest. Der Gegen
satz war damals zu groß, zu unausgeglichen, als daß es ohne ein scharfes Kräfte
messen zu einer Annäherung kommen konnte; ein regelrechter Zollkrieg ist
der Einigung von 1894 vorangegangen. Zehn Jahre später gelang es dann
leichter, die Basis des Vertrages zu finden; da kam das Kapitalinteresse Ruß
lands unseren Exportinteressen zu Hilfe — wir konnten neben die Gewährung
der Meistbegünstigung die Zusage legen, der Aufnahme einer großen Anleihe
auf dem deutschen Markt amtlich nicht entgegentreten zu wollen, und kamen
so wieder zu einem langfristigen Tarifvertrag, obwohl wir unsere eigenen Agrar
zölle bekanntlich hinaufgesetzt haben.
Wie sich die bevorstehende Erneuerung gestalten wird, ist nicht voraus
zusagen. Die Interessenlage ist im wesentlichen die gleiche geblieben; nur
werden wir, da wir seit 10 Jahren in eine Zeit steigender Getreidepreise hinein
gekommen sind und mit dieser Tendenz wohl auch auf absehbare Zeit rechnen
müssen, mit geringeren Getreidezöllen uns begnügen und deshalb durch deren
Ermäßigung von Rußland eine Ermäßigung seiner hochgeschraubten Industrie
zölle erkaufen können. Dabei hat natürlich die Wissenschaft über die Höhe
der beiderseitigen Zölle nichts auszusagen; ich kann wissenschaftlich
nicht nachweisen, daß wir nicht 5 M, sondern nur 3,50 M oder nur 3 M
Zoll auf Weizen brauchen. Da entscheidet die parteipolitische Machtsituation
im Innern mehr als das gegenseitige Kräfteverhältnis der verhandelnden
Staaten.
Wohl aber hat die Wissenschaft auf ein anderes hinzuweisen. Wir pflegen
nämlich — wohl begreiflich, da alle wirtschaftlichen Mächte da sich konzen
trieren, aber doch nicht richtig — viel zu einseitig bei der Erörterung der außen
wirtschaftlichen Verhältnisse die sog. Handelspolitik, besonders die Zoll
fragen zu betonen; und das, obwohl es tatsächlich, wie aus der Handelsbewegung
aller Ränder abzulesen ist, einen wirklichen Prohibitivzoll, der nicht durch Er
mäßigung der Produktionskosten oder der Verkehrs- und Handelsspesen wett
gemacht werden könnte, in der Gegenwart mit ihrer entwickelten Technik und
ihrem weitverzweigten Netz billig arbeitender Transportmittel kaum noch gibt.
Demgegenüber tritt die Verkehrspolitik viel zu sehr in den Hintergrund, ob
wohl sie doch mehr und mehr fast allenthalben in der Welt von den Staaten
selbst in die Hand genommen worden ist. Gerade Rußland zeigt aber, wie schon
in seinen östlich gerichteten Wirtschaftsbestrebungen, so auch nach Westen
eine sehr klare Erkenntnis von der handelspolitischen Bedeutung der Trans-
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