Full text: Der Brotwucher

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Vorwort. 
mittelbar drängenden Probleme Fümmert fih die Wifjenihaft nur wenig 
oder gar nicht oder nur injoweit, als es ihr paßt. Höchftenz daß die 
ftaatsfinanzielle Seite der Sanierung die Federn in Bewegung feßt. 
Inzwijdhen aber Höhlt die Lebensmittelteuerung die innere Kauffrajt der 
Krone mehr und mehr aus. Deshalb jdheint mir der Brotwucher einer 
Beleuchtung wert. Eine langjährige Befchäftigung mit der Brotfrage be- 
rechtigt mich wohl dazı, das Wort zu ergreifen. Schon vor mehr als 
26 Jahren jHyrieb ich in einer Wiener Zeitfchrift (der von Dr. Comund Wen- 
graf herausgegebenen „NMeuen Revue“ vom 15. Mai 1898) über die 
Brotteuerung, die der damalige Marktdirekltor der Stadt Wien Kainz 
bergeben3 zu mildern fuchte. Die Bäckermeifter liefen Sturm und die 
Regierung Jhwieg. Damals fagte ich: 
„Diejes Syftem des Fortjreitenz in der Brotfrage ftatt radialer Maßnahmen, 
wie etwa die Beijtimmung, daß Brot nur nach Gewicht verkauft werden dürfe, oder 
gar die Errichtung einer fommunalen Konkfurrenzbäckerei, weiche fih anlmählih an die 
Stelle der mit veralteter, unbehilflicher Technik arbeitenden und ihre Arbeitsfräfte er- 
barmungslos ausbeutenden Kieinbetriebe zu jeßen Hätte, diejes KHeinliche, aber echt 
öfterreichtfche Syftem kann auf die Dauer nicht befolgt werden, falls man Brotkfrawalle 
nach jpanijihem oder italienijhem Mufter vermeiden will. Anftatt dieje einzig wirk 
jamen Maßregein (Brotverkauf nach Gewicht, Kommunalifierung der Bäckereien) vorzu- 
jchlagen, fuchten die meiften Mitglieder der Approvijionierungskfonferenz, mit Aus- 
nahme des Marktdirekltors, die Mufmerkffamfkeit des Publikums auf eine faljdhe Fährte 
zu lenfen. Sie meinten, daß an den Hohen Preifen des Gebäcks hei geringem Se- 
wichte die Preisfteigerung des Getreides die Schuld trage. Aber die Brotpreife find 
bei niederen SGedreidepreijen fajt ebenjo Hoch als zu Zeiten einer Höheren Bewertung 
des Getreides, Höchftenz daß fih bei niederen Getreidepreijen mehr Bäcker etablieren, 
die dann freilich bei einem Steigen der Getreidepreije in eine fehr fchivierige Lage 
fommen oder auch die Zahlung einftelen müffen, fallz fie nicht durch eine fajt frau- 
dulos zu nennende Behandlung des Konjums fidh entfhäbdbigen. SGeradezu al8 Hohn 
muß e3 empfunden werden, wenn die Gädermeifter die Brotteuerung mit der Begehr- 
Tichfeit der Gehilfen motivieren, mährend die Empörung diejer lebteren wegen des an 
ihrer Arbeitskraft verübten Raubbaues nahe daran ift, einen SGeneralfıreik hHerbeizu- 
führen, ihre phyliiche Degeneration bereitz einen bedenfklidhen Grad erreicht hat.“ 
Da8 war im Jahre 1898. YWber fchon in den Achtzigerjahren war 
die gleihe Klage zu Hören. In dem von Mitgliedern des damaligen 
Deutjhen BVereinz in Wien, dem unter anderen Dr. Viktor UNdler an- 
gehörte, herausgegebenen „Bolitijgen Wörterbuch für die Deutichen in 
Öfterreich“ (1885) ift zu lejen: 
„Die Vorgänge, die fid) bei der Dedung des Brotbedarfes in Wien (und in 
ähnlicher Weifje auch anderwärts) abjpielen, ftünden, was die Approvifionierung betrifit, 
geradezu beijpiello8 da, wenn e8 nicht eine ViehHmarkt- und Fetjchfrage gäbe. Nach 
neueren Erhebungen beträgt zum Beilpiel der Geftehungspreis mancher gewöhnlichen
	        
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