An die
Wähler des 5. Berliner Keichstags-Wahlkreises.
Arbeiter! Handwerker! Mitbürger!
Am 15. Juni hat der Kandidat der Sozialdemokratie
im 5. Berliner Wahlkreis die meisten Stimmen auf sich
vereinigt. Die Wähler haben damit bekundet, daß sie kein
Vertrauen mehr zu dem bisherigen Vertreter des Kreises haben,
der kaum ein Drittel der abgegebenen Stimmen erhielt, kein
Vertrauen zu dem sterbenden Freisinn, der widerstandsunfähig
«ich «icht ein einziges MlandaL «rungm hat.
In Stadt und Land, in Werkstatt und Fabrik, wo irgend
nur politisch denkende Männer weilen, haben sie sich zu
Millionen der Fahne der Sozialdemokratie zu
gewandt und von überall erklingt der Ruf in'ü Ohr der Mäch-
Ligen und Neichen. Schafft menschenwürdige Zustände,
gebt Freiheit und Gleichheit in politischer und sozialer Be
ziehung. — Keine neuen Steuern, - keine Erhöhung der 'Lasten
des Volkes, keinen Mann und keinen Groschen dem
Moloch des Militarismus.
Wähler! Zwischen Euch und uns bedarf es nicht
vieler Worte; Ihr wißt, was wir wollen, wir haben Euch in
unseren Flugblättern und Versammlungen unsere Forderungen
an den heutigen Staat und unser Programm genügend ausein
andergesetzt. Wir haben Euch gewarnt, den gruseligen, selbst-
gemalten Zukunftsbildern der Richter und Genosien zu trauen.
— Ihr glaubtet uns und habt unserem Kandidaten eine
imposante Stimmenzahl zugewandt; nach eine letzte An
strengung und der Sieg ist unser!
Arbeiter! Handwerker! Kleine Beamte und
Geschäftsleute? Wer nimmt sich Eurer thatkräftig an?
Wer kämpft unablässig und allein für eine .Berdefferung
Eurer Lage, den großen Herren, den Schlotbaronen
und Krautjunkern, dem hohen Beamtenthum und der
deulschfreisinni^en Vetterwirthschaft im rothen Hause
rum Tr°c? Einzig und allein die Sozial
demokratie!
Die Sozialdemokratie ist eingetreten für einen wirklichen
Arbeilerschutz, für den Schutz der Kinder und Frauen, für die
Sonntagsruhe der kaufmännischen Angestellten, für Vereins-
freiheit und besiere Bezahlung der kleinen Beamten, für
Beseitigung der das Volk ausplündernden Zollwirthschaft.
Allein die Sozialdemokratie hat ernstlich den Militarismus
bekämpft, der durch feine ungeheuren Anforderungen an die
Steuerkraft des Volkes, durch den die Selbstständigkeit ertödten-
den Drill, durch feine Soldalen-Mißhandlungen und seinen
Paradepomp, durch unerträgliche Gut- und Blulsteuern die
Wehr- und Nährkraft des deutschen Volkes gefährdet Das
Volksheer, das wir fordern, ist die einzige Bürg
schaft deü Friedens und der Freiheit.
Wähler! Wie sähe es im Deutschen Reiche aus, wenn'
der Deutsch-Freisinn an'ü Ruder käme. Ein lehrreiches
Beispiel habt Ihr an der Vetterwirthschaft und dem
Cliquenwesen im rother, Hause. Wer deklamirt im
Reichstage gegen die indirekten Steuern und zieht von den
Berliner Steuerzahlern die härteste und ungerechteste in
direkte Steuer, die Miethssteuer, ein, die den Arbeiter
und den kleinen Gewerbetreibenden am schwersten bedrückt?.
Wer schädigt die kleinen Unternehmer und die Arbeiter durch
die Lotterwirthschast des Submissionswesens, dah
nur dem mit Magistrat und Stadtverordneteu-
mehrheit versippten und verschwägerten Groß-
Kapitalisten den Beutel füllt? Der deutsche Freisinn ist
es, der andererseits den arbeilerfreundlichen Antrag der Sozial
demokratie. den bei städtischen Arbeiten Beschäftigten -von
stadtwegen menschenwürdigen Lohn und Arbeitszeiten auszu-
bedingen, von den Commisstonären des Gelvsackcs
niederstimmen ließ. Wer hatte für die blasse Noth nur Hohn
und Spott, wer hat den Nothstand geleugnet, wer hat nach
erbitterter Gegenwehr sich die klägliche Aettclsuppe der Wärme»
stuöcn abringen lasten? Wieder und immer wieder der Deutsch-
Freisinn, der im rothen Hause ohne das Feigenblatt der Demo
kratie nur die nackten Interessen des Westhes vertritt.
Brutal nach unten, knechtisch nach oben, quiltirt der
Deutsch-Freisinn den Fußtritt, welchen ihm die Mächtigen gegeben,
durch Stiftung eines kostspielige» Nrurrk-MruunenS, er
richtet ans Kosten der Steuerzahler. Wer begeistert sich mit
Mannesmuth vor Königsthronen für die Nirderlegung der
Schloßfreiheit, für den groben Lotterie-Unfug, für den Ententeich?
Das sind stets und ständig die
Knopstöch-Ualrioten.
Wähler? Entreißt den 6. Wahlkreis btcjtfft
Leuten, die in Berlin ausgespielt haben. Geht früh
zeitig und vollzählig zur Urne und wählt Mann für Mann
den Kandidaten der Sozialdemokratie, den Klavier-Arbeiter
Mobert KchmiÄk.
Wähler! Die Sozialdemokratie allein ist eine
wahre Volkspartei, sie fordert die Volksherrfchaft, sie will,
daß. das Volk selbst seine Geschicke lenke. Sie fordert,, da»
die Gleichheit vor dem Gesetz kein leerer Schall, sondern
eine lebendige Wirklichkeit sei. Deshalb beküinpft sie die
Klassenherrschaft, deshalb tritt sie ein für politische
Freiheit und für soziale Reform, deshalb ist sie geschworene
Gegnerin des Militarismus, an besten Statt sie die Volks-
bemafsmmg setzen will..
Darum fort mit dem Militarismus! Fort mit dem
Kapitalismus! Fort mit den indirekte» Steuern! Gebet
einhellig Eure Stimme den Kandidaten der Sozialdemokratie,
dem Mann aus dem Volke, dem
Kkavieraröciter
Robert Schmidt.
Unsere Versammlungen finden statt:
Donnerstag, den 22. Zuni, Abends 8 Uhr in Mrauerei Iriedrichshain (Lips).
Referent: Reichstagsabgeordneter Dr. Wrrmo Kchönkank.
Areilag, den 23. Juni, Abends 8 Zlhr;
1. Germania-Säle, Chaufleestr. 103. Referent: Reichstagsabgeord. Jaul Singer.
2. Schützenhaus, Linienstr. 5. Referent: Reichstagskandidat Aoöert Schmidt.
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89. Sozialdemokratisches Flugblatt für die Stichwahl im 5. Berliner Reichstags-
Wahlkreis 1893