Full text: Die Berliner Arbeiterbewegung von 1890 bis 1905

Ihre Verfassung war einfach und demokratisch. Durch einen sehr 
geringen Monatsbeitrag — 25 Pfennig — erwarb man die Mitgliedschaft, 
und die Mitglieder wählten in einer Generalversammlung den Vorstand, 
der für passende Räumlichkeiten zu sorgen, die Lehrkräfte zu beschaffen und 
im Verein mit dem Ausschuß dieser Lehrkräfte den Lehrplan aufzustellen 
hatte. Für dies und seine sonstige Geschäftsführung war der Vorstand 
der Generalversammlung der Mitglieder verantwortlich, so daß bei diesen 
die letzte Entscheidung lag. Das Anterrichtsgeld für die Lehrkurse wurde 
so niedrig bemessen, nämlich 50 Pfennig pro Kursus, daß es selbst der 
schlechtestentlohiite Arbeiter aufbringen konnte. Allerdings zeigte sich auch 
bald, daß es zu gering war, um der Schule das Bestehen aus eigenen 
Mitteln zu verbürgen. Aber durch Zuschüsse von seiten der Organisationen 
und Gejchenke wohlhabender Genossen ward die Schule in den Stand 
gesetzt, alle Wcchselfälle von Gunst und Angunst, denen sie ausgesetzt war, 
zu überdauern. 
And an ungünstigen Konstellationen hat es ihr nicht gefehlt. Es ist 
allen Schöpfungen dieser Art eigen, daß nur bei einem Teil derer, die sich 
durch einen Vortrag für sie entflammen lassen, die Kraft der Begeisterung 
für dauernde Betätigung ausreicht. Angesichts der großen Zahl von An 
meldungen, deren sich die Schule in der ersten Zeit erfreute, hatte man 
Lokale in allen Stadtgegenden fiir sie eingerichtet und einen sehr umfassenden 
Anterrichtsplan für sie aufgesetzt, der auch Gegenstände wie Anatomie und 
Physiologie enthielt. Aber man hatte nicht genug mit dem Einfluß der 
Schwankungen des Arbeitsmarktcs auf die Ortsständigkeit gerade derjenigen 
Elemente der Arbeiterschaft gerechnet, für welche die Schule vornehmlich 
eingerichtet war, und hatte auch die ablenkende Wirkung der politischen und 
gewerkschaftlichen Kämpfe auf die regeren Elemente unter den Arbeitern 
unterschätzt. Schon ein erheblicher Teil der Meldungen der ersten Wochen 
blieben bloße Meldungen, später aber ging es auch mit den Anmeldungen 
selbst langsamer. Die Schülerzahl blieb bedeutend hinter den ersten 
Schätzungen zurück, die Lehrfächer mußten beschränkt, die Schulräume ver 
mindert werden, und doch wollten Einnahmen und Ausgaben nicht ins 
Gleichgewicht kommen. Es schien, als ob die Schule in neutralen Anter- 
richtsgegcnständcn die Konkurrenz des gut fundierten und über ein eigenes 
Gebäude verfügenden alten Landwerkervereins nicht werde bestehen können, 
und es gab denn auch selbst unter den führenden Parteimitgliedern Leute, 
die da meinten, man möge diejenigen, die flch in Deutsch, Rechnen, Natur 
geschichte usw. fortbilden wollten, ruhig dem Landwerkerverein überlassen, 
und nur die spezifisch sozialpolitische Bildung von Partei wegen betreiben. 
Zu denen, die so dachten und sich gelegentlich in diesem Sinne äußerten, 
gehörte unter anderen Ignaz Auer. 
Schließlich kam es im Jahre 1897 dahin, daß man sich ernsthaft die 
Frage vorzulegen hatte, ob es nicht am besten sei, die Schule ganz auf 
zulösen. Aber wie es der Schule nie an einem Stamm begeisterter 
Anhänger und Freunde gefehlt hatte, die keine Mühen und Opfer scheuten, 
sie über Wasser zu halten, so hatte sie auch jetzt deren genug, welche nicht 
von ihr lassen mochten, bis nicht alle Mittel versucht worden seien, sie auf 
eine feste Basis zu stellen. And so ward in jenem Jahre eine völlige Neu 
organisation der Schule beschlossen. Die örtliche Dezentralisation der Schul-
	        
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