Full text: Die Bewirtschaftung von Korn, Mehl und Brot im Deutschen Reiche, ihre Entstehung und ihre Grundzüge

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weisen würde als die Aufklärung über die Not großstädtischer Brot 
versorgung und der Aufruf an seine vaterländische Gesinnung und sein 
Ehrgefühl, wenn nicht diese Wendung gleichzeitig durch eingreifende 
staatliche Maßregeln fühlbar unterstützt wurde? Aber selbst wenn 
der Landwirt der höheren Preise halber mehr Brotkorn ablieferte, so 
waren, da.Korn für den Verzehr erst vermahlen und dann verbacken 
werden muß, die besonderen Beziehungen des Müllers zum Landwirt, 
des Bäckers zum Müller und des Kunden zum Bäcker sowie die ketten 
artige Verknüpfung dieser Beziehungen darüber entscheidend, wer aus 
diesem Korn Brot erhielt. Dabei mußte dann wieder die ver 
schiedene Geschicklichkeit, Ware zu erwerben, oder die Möglichkeit, 
reichlich Zeit zum Einkauf aufwenden zu können, und ähnliches oft 
mehr ins Gewicht fallen, als die gefüllte Geldtasche. Auch war dann 
bei Mehl und Brot, wie es später bei anderen Waren eingetreten 
ist, ein Tauschverkehr zu erwarten, bei dem der Kohlenhändler oder 
Metzger vom Bäcker stets genügend Brot gegen Kohlen oder Fleisch 
erhalten haben würden, aber nicht der großstädtische Arbeiter, der 
keine Verbrauchsware, sondern nur seine Arbeitskraft oder deren 
Lohnwert in Tausch geben kann. Dieses Ziel des Nichts an Staats- 
eingrisf hätte also auch bei kräftigerer Verfechtung nicht das andere 
Ziel des Alles durch Staatsfürsorge ausstechen können. 
Die wirtschaftlich-sozialen Verhältnisse und das menschliche 
Wirken bilden eine Einheit. Ist die vernünftige Gestaltung jener 
gestört, so muß in diesem ein Ausgleich durch besondere Bindungen 
geschaffen werden. Darin liegt die Rechtfertigung für Schutzzölle wie 
für Arbeiterschutz. Gegen Versorgungsstörungen vom Ausmaß der bri 
tischen Hungersperre mußten entsprechend eingreifende Schutzmit 
tel ins Spiel gesetzt werden. Von den beiden wissenschaftlich nam 
haften Volkswirten, denen Gelegenheit zu staatsleitender Tätigkeit ge 
boten war, hat Colbert die Politik verfolgt, daß bei Kornknappheit 
nichts nötiger sei als durch Staatseingriff Händler, Bäcker und sonstige 
Geschäftstreibende zu hindern, aus dem Elend des Volkes ungebührliche 
Gewinne zu ziehen, während Turgot grundsätzlich die Dinge treiben 
ließ und auch bei Kornmangel und argen Mißständen nicht in 
den freien Kornverkehr eingriff. Dieser scheiterte mit seiner 
Ministerschaft wie mit seiner Politik in wenigen Jahren, jener ge 
hört zu den erfolgreichsten Staatsleitern und hat in seiner Wirt 
schaftspolitik viel Nachfolge gefunden. 
Freilich in jenen Januartagen wurden solche geschichtlichen 
Überlegungen nicht angestellt. Sie waren später nützliche Mittel, um 
zu dem neuen Ziele staatlicher Brotfürsorge Gegner zu bekehren, 
denen es nicht aus sich selbst einleuchtete. Aus geschichtlicher Ent-
	        
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