|L. V. Überstaatliche Bindungen des Jchs
jektivität““ noch rechtzeitig abzugewöhnen, ist allerdings kaum Aus-
sicht, daß die Judenfrage jemals bei uns verschwinden werde.
Denn daß es eine Judenfrage gibt, ist nicht etwa ein Zeichen
völkischer Stärke, sondern völkischer Schwäche. Für ein Volk, das
die letzten Zweifel an seiner Daseinsberechtigung und an seiner
Daseinsaufgabe überwunden hat, spielt eine Frage dieser Art keine
Rolle mehr. Sollten wir's dahin auch noch bringen, so erlebt also
die Welt vielleicht noch den deutschen Gambetta, oder gar den
deutschen Disraeli!
2. Kirche
Für jedes Ich kommt einmal der Punkt, wo alle irdischen Bin-
dungen, des Seins im Raum, des Werdens in der Zeit, des Wir-
kens in Familie, Gesellschaft, Staat, Rasse versinken vor dem Ge-
fühl: allein zu sein mit dem Allwesen, das an keinerlei einengende
Formen des Seins, des Werdens, des Wirkens gebunden ist, weil
es die Summe alles Seins, Werdens, Wirkens umfaßt.
Dieser Punkt muß nicht notwendig der Schlußpunkt, dies Er-
lebnis muß nicht das letzte Erlebnis sein. Aber es ist immer ein
Erlebnis, das das Ich nicht in Gemeinschaft mit andern, das es
vielmehr für sich ganz allein hat. Seinen Gott erlebt jeder nur in
der Stille ~ unbeschadet der Fähigkeit, andern von diesem Erleb-
nis mitzuteilen, die allerdings nicht jedem Ich gegeben ward.
So erlebt das Ich auch sich selbst – im Traum – ganz allein.
Nachprüfen läßt sich das Traumerlebnis nicht, so wie sich etwa nach-
prüfen läßt, was ein Ich in der Schlacht oder auf Reisen erlebt
hat, wo es das Erlebnis mit andern Ichs teilte. Nur kritiklose
Leichtfertigkeit, wie sie neuerdings Mode geworden ist, kann daher
die Erzählung eines Traumerlebnisses gleichwerten dem Traumer-
lebnis selbst. Wenn ein Reisender aus dunklem Erdteil zurückkehrt
und berichtet, was er da gefunden hat, so kann ein anderer hin-
gehen und nachsehen, ob es stimmt. Ins Traumland des einen
Ichs kann kein anderes Ich reisen, um nachzusehen, ob das Erlebnis
sich auch so abgespielt hat, wie das erste Ich es behauptet. Nur mit
allergrößter kritischer Vorsicht ist also zu verwerten, was ein Ich
über das erzählt, was es geträumt haben will.
M 9