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Vorwort.
Meine Arbeit über die Wohnungsverhältnisse der Prostituierten
der deutschen Groß- und Mittelstädte in der „Zeitschrift für Be
kämpfung der Geschlechtskrankheiten" regte mich zu einem ein
gehenden Studium des ganzen Komplexes von sozialen Fragen an,
die das moderne Prostitutionsproblem, umspannt. In harter, zeit
raubender Arbeit bemühte ich mich, alle sozialen Seiten der Pro
stitutionsfrage zu erfassen und in gedrängter Kürze zur Darstellung
zu bringen. Umfangreiche und bisher wenig benutzte Materialien
zu meinem Werk flössen mir in dankenswerter Weise von allen
Seiten zu, so daß selbst der tüchtige Kenner des Prostitutions
problems noch manche ihm neue Tatsache aus meiner Arbeit ent
nehmen wird. In zahlreiche sittenpolizeiliche Vorschriften erhielt
ich Einblick. Riesige, dickleibige Sammelbände über die Berichte
von Magdalenenheimen, Rcttungsanstalten, Asrbeiterinncnkolonien
und so weiter, über die Petitionen der „Inneren Mission" zur Pro
stitutionsfrage, über die Verhandlungen der Sittlichkeitsvereine
gingen mir aus der Bibliothek des Provinzialvercins für „Innere
Mission" in Pommern zu. Allen selbstlosen Förderern meiner
Arbeit spreche ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank für die
Unterstützungen aus, die sie mir so reichlich zuteil werden ließen.
Meine Schrift wendet sich in erster Linie an die deutschen
Arbeiter. Als die glühende Seele der Josephine Butler ihr flam
mendes Begcistcrungsfeuer für die Abschaffung der reglementierten
Prostitution in die Kreise der englischen Politiker tragen wollte,
da stieß sie dort auf eine dicke Eisschicht. Mit einer Herzensfrostigkeit
sondergleichen begegneten in England zuerst die führenden Häupter
der politischen Parteien den edlen Bestrebungen der heldenmütigen
Josephine Butler. „Da uns von den Kreisen," so schreibt sie in
ihrer berühmten Schrift: „Zur Geschichte eines Kreuzzuges", „auf
deren Interesse an der Sache wir zunächst gehofft hatten, eine so
geringe Ermutigung zuteil wurde, wandten wir uns an die Arbeiter-
bevölkerung des Landes. Hier kam man uns ganz anders entgegen."
In dem Proletariat, dessen unglücklichen weiblichen Mitgliedern ja
so häufig das Schandmal der öffentlichen Prostitution aufgedrückt
wird, fand der Ruf nach Abschaffung der sitten- und sanitätspolizei
lichen Kontrolle der Dirnen ein millionenstimmiges Echo.