zu steigern, als die Gütervermehrung abzusetzen. Dieser Fluch
lastet jetzt ganz besonders schwer auf Deutschland.
So erstaunlich für uns die technischen und arbeitsorganisatorischen
Leistungen Amerikas sind, das eigentliche „Wirtschaftswunder“ ist
doch mehr darin zu suchen, dass die schnell wachsende Güter-
produktion vom Konsum verdaut werden konnte. Neuerdings
nehmen zwar auch drüben die Besorgnisse zu, dass es in diesem
Tempo nicht weitergehen könne, und die Stimmen mehren sich, die
eine „Krise der Überproduktion‘“ prophezeien. Aber selbst wenn
früher oder später eine solche Wendung eintreten sollte, so bleibt
doch der seit Jahren anhaltende günstige Verlauf der Dinge als
eine Tatsache bestehen, die für die Beurteilung der Entwicklungs-
möglichkeiten der kapitalistischen Wirtschaft von allerhöchster
Wichtigkeit ist.
In der sozialistischen Arbeiterbewegung war man früher geneigt,
dem Zusammenbruch der kapitalistischen Wirtschaft als einer ent-
wicklungsgesetzlichen Naturnotwendigkeit entgegenzusehen in der
Annahme, dass mit dem zunehmenden technischen Fortschritt und
dem Anwachsen der Produktivität „die Produktivkräfite der heutigen
Gesellschaft über den Kopf wachsen“ müssten und „immer massen-
hafter die Armee der überschüssigen Arbeiter‘“ würde. Auch ohne
den Einfluss des amerikanischen Beispiels hat sich in den letzten
Jahrzehnten die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Verlauf der
Praxis mit einem solchen starren Entwicklungsschema doch nicht
ganz übereinstimmt. Eine entsprechende Revision der theoretischen
Auffassung hat sich — wenigstens in Deutschland — in aller Form
schon vollzogen. Der theoretische Streit darüber, ob unter der
Herrschaft einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung für die
Arbeiterklasse überhaupt die Möglichkeit besteht, bei wachsender
Produktivität an der Vermehrung des Wohlstandes teilzunehmen,
oder ob nicht vielmehr alle Vorteile einer solchen Entwicklung den
Kapitalisten zufallen müssen, ist erloschen. Die Tatsachen und die
Erfolge der Gewerkschaften haben bewiesen, dass es in der
kapitalistischen Wirtschaft durchaus kein Naturgesetz gibt, wonach
die ökonomische Lage der Arbeiterschaft nicht verbessert werden
könne. Diese Erkenntnis ist weit entfernt etwa von einer Aus-
söhnung mit demkapitalistischen System selbst, dessen ökonomische
Widersprüche und soziale Ungerechtigkeiten nicht dadurch wider-
legt sind, dass es immerhin auch der Arbeiterklasse eine Ver-
besserung ihrer Lebenshaltung ermöglicht.
Inwieweit es der Arbeiterklasse nun tatsächlich gelingt, einen
Anteil vom wachsenden Produktionsertrag zu erhalten, erscheint
im wesentlichen als eine Frage der sozialen Machtverhältnisse.
Eben dadurch wurde ja die Theorie von der wachsenden Ver-
elendung der Arbeiterklasse erschüttert, dass die Gewerkschaften
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