Full text: Amerikareise deutscher Gewerkschaftsführer

sich, dass in der kapitalistischen Welt die Grösse der Produktion 
nicht bestimmt wird durch die Kapazität des Produktionsapparates, 
sondern durch den Umfang der Absatzmöglichkeit. Die planmässige 
Unterdrückung der Massenkaufkraft rächt sich durch die Stillegung 
des Produktionsapparates. 
Allerdings war in diese Wirtschaftspolitik die Hoffnung ein- 
kalkuliert, dass jeder Produktionsüberschuss exportiert werden 
könne. Wie töricht diese Spekulation war, hat der Verlauf der 
Dinge zur Genüge bewiesen. Noch ist der Menge nach nicht einmal 
der Vorkriegsexport wieder erreicht worden, und auch dieser war 
nur ein Bruchteil der inländischen Gesamtproduktion. Auch wenn 
sich alle Exporthoffnungen, soweit sie überhaupt noch im Rahmen 
des Denkbaren liegen, verwirklichen könnten, würde dadurch die 
weite Kluft, die sich zwischen der Kaufkraft und der Produktions- 
möglichkeit im eigenen Lande aufgetan hat, nicht ausgefüllt werden 
können. Überdies ist es eine alte volkswirtschaftliche Erkenntnis, 
die durch das amerikanische Beispiel eben jetzt wieder anschaulich 
bestätigt wird, dass für jede nationale Wirtschaft die gute Be- 
schäftigung für den Binnenmarkt die wichtigste Voraussetzung für 
die Exportfähigkeit ist. 
Die Erschliessung des eigenen Marktes durch planmässige Auf- 
zucht einer starken Kaufkraft bei den breiten Massen, das ist das 
Geheimnis der amerikanischen Wirtschaft. Hohe Löhne und niedrige 
Preise, grosser Umsatz und kleiner Stücknutzen: Aus dieser Praxis 
erwuchsen die Wunder der Technik und der Arbeitsorganisation 
wie von selbst. 
Dieses amerikanische Beispiel ist für das Europa der Nachkriegs- 
zeit von entscheidender Bedeutung. Die alte Vorstellung, als 
ob die Entfaltung der Produktivkräfte in einer nationalen Industrie- 
wirtschaft über einen gewissen Grad hinaus nur noch möglich sei 
durch die Unterjochung ausländischer Märkte, ist dadurch er- 
schüttert, ebenso aber auch der Pessimismus, der in dem An- 
wachsen des Produktionsapparates in aller Welt nichts anderes 
zu sehen vermag als eine unverstopfbare Quelle allgemeiner Ver- 
elendung in den alten Industrieländern. Die Tatsache, dass nun in 
fast allen Ländern, die anden Weltwirtschaftsverkehr angeschlossen 
sind, die Produktionsmöglichkeit über die Absatzmöglichkeit hinaus- 
gewachsen ist, lässt überhaupt keine andere Lösung mehr zu als die 
Aufschliessung der inneren Märkte. Das heisst, dass die kapita- 
listische Wirtschaft ein Stadium erreicht hat, wo die weitere Ent- 
wicklung nicht anders möglich ist als durch eine Hebung des 
Lebensstandards der breiten Massen im eigenen Lande. Diese 
Tendenz steht keineswegs im Widerspruch mit der weiteren Aus- 
dehnung des weltwirtschaftlichen Verkehrs. Im Gegenteil muss die 
Fntdeckung neuer Absatzgebiete in den alten Kulturländern erst 
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