kens im Gebiete der Seelenforschung, sozusagen die typisch-russische
Stellungnahme zu ihm kurz zu schildern.
Betrachten wir zuerst die gewöhnliche, im Westen seit mindestens
einem Halbjahrhunderte verbreitete Stellungnahme zum Gebiete des
Psychischen — wie sie in der sogenannten empirischen Psychologie,
die sich selber als Psychologie ohne Seele proklamiert hat, zum Aus-
druck kommt —, so dürfen wir sagen, daß für sie die Betrachtung
des Seelischen, als eines kleinen Anhängsels oder Teils der empirisch-
gegenständlichen Welt, der ihren Gesetzen unterworfen ist und in
das gewöhnliche Weltbild restlos und gefügig eingeht, charakteristisch
ist. Die moderne Psychologie nennt sich selber eine Naturwissenschaft.
Befreien wir uns von der gewöhnlichen entstellten Wortbedeutung
und kehren wir zu ihrem inneren, wahren Sinne zurück, so werden
wir leicht begreifen, was das eigentlich bedeutet: es bedeutet, daß die
moderne westliche Psychologie im strengen Sinne des Wortes gar
keine Psycho-logie (Seelenlehre), sondern eine Physio-logie ist. Sie
ist keine Lehre von der Seele, als einem Gebiete der inneren Realität,
das — wie wir es auch weiter bestimmen wollen — jedenfalls ganz
unmittelbar, in seinem Erfahrungsinhalte sich von der sinnlich-gegen-
ständlichen Welt der Natur abhebt und ihr gegenübersteht; sie ist
im Gegenteil eben eine Naturwissenschaft, eine Lehre von den äußeren,
sinnlich-gegenständlichen Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten der
psychischen Phänomene, die, von ihrem urwüchsigen und wahren
inneren Boden abgerissen, nur eben im Rahmen einer ihnen innerlich
fremden Welt — der sinnlich-gegenständlichen Welt — betrachtet
werden. Wenn man auch die Psychophysik und Psychophysiologie
ganz beiseite läßt und nur die sogenannte reine Psychologie in Betracht
zieht, so bemerkt man doch leicht, daß ihr als ihre Grundlage, sozu-
sagen als das Gerippe ihres Begriffsystems, an das sich ihre einzelnen
Beobachtungen anschmiegen, das Bild der äußerlich-gegenständlichen,
materiellen Welt dient. Das Seelenleben wird als eine kleine Welt
irgendwo im Inneren des menschlichen Leibes gedacht. Und wenn so
das Seelenleben schlecht oder recht räumlich lokalisiert ist, so ist es
um so mehr zeitlich lokalisiert. Die seelischen Erscheinungen werden
als chronologisch bestimmbare objektive Geschehnisse gedacht, deren
Dauer, Reihenfolge und Zusammenhang mit materiellen Prozessen
man eindeutig feststellen kann. Die Gesamtheit der psychischen Pro-
zesse wird überhaupt nur als ein winzig kleiner und abgeleiteter
Teil des biologischen und kosmischen Ganzen betrachtet.
Ohne hier die Frage über den wahren Wert und die objektive Be-
rechtigung dieser uns jetzt so geläufigen gewöhnlichen psychologischen
Weltanschauung zu erheben, möchte ich nur hervorheben, daß es auch
eine ganz andere Psychologie geben kann, die eben das Seelische nicht
von außen, von seiten seiner Erscheinung in der sinnlich-gegenständ-
2 Die russische Weltanschauung -
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