Sie sind auch ein Bekenner, der für seine Ueberzeugung ohne
Rücksicht auf seine Person und die sich entgegenstellenden Wider-
stände eingetreten ist: Ein deutscher Mensch im besten Sinne des
Wortes. Es gibt überall in der Welt, auch in anderen Ländern
und unter anderen Rassen, deutsche Menschen, wenn man unter
Deutschsein gerade das verssteht, was die Deutschen bei vielen
andern Völkern so unbeliebt und unverstanden gemacht hat.
Es ist nicht bloß Mißgunst und Furcht vor der Ueberlegenheit,
was die Feindschaft so vieler Völker gegen die Deutschen bewirkt
hat, sondern vor allem, daß sie die Eigenart der Deutschen –
ohne Rücksicht auf eigenen Vorteil hartnäckig und tatkräftig einem
für gut befundenen Ziele zustreben und offen aussprechen, was
sie wollen — nicht verstehen und deswegen gerade in der Offenheit
Heuchelei sehen. Diese Eigenschaft ist es aber gerade, die wir an
einem Doctor medicinae hochschätzen und die wir an Ihnen be-
wundern. Wenn gerade die medizinische Fakultät Ihrer Vater-
stadt Sie zum Ehrendoktor ernannt hat, so, hat sie dazu noch,
einen besonderen Anlaß; denn Ihre Bestrebungen unterstützen die
ärztliche Tätigkeit in hohem Maße. Was die sogenannte Schul-
medizin von allen übrigen Richtungen der Heilkunde unter-
scheidet, ist, daß sie bewußt jede Einseitigkeit ablehnt und alle
Verfahren, die zum Ziele führen können, anerkennt. Die neu-
zeitliche wissenschastliche Heilkunde weiß es längst, daß in erster
Linie es darauf ankommt, Krankheiten zu verhüten und die
Gesundheit zu erhalten und daß die Bekämpfung der Volks-
sseuchen nicht auf einem einzigen Wege zu erreichen ist. Welchen
Wert es für die Erhaltung und Wiedergewinnung der Volks-
gesundheit haben würde, wenn Ihre Ziele und Bestrebungen
vollkommen durchgeführt werden könnten, darüber kann irgend-
ein Streit nicht bestehen. Auch wenn Arbeiter und Angestellte,
Geistes- und Handarbeiter ihr eigenes Heim besitzen, wird nicht
das Paradies auf die Erde kommen, sondern auch dann werden
noch manche Unvollkommenheiten bleiben. Daß aber das Woh-
nungselend der Großstädte, der Mangel an Licht und Luft, die
Menschen nicht nur körperlich, sondern auch seelisch krank macht
und statt Frohsinn und Zufriedenheit Verdrossenheit und Ver-
bissenheit züchtet, darüber sind wir wohl alle einig.
Sv sehen wir in Ihnen einen mächtigen Helfer in der ärzt-
lichen Tätigkeit. Man hat freilich gefragt, was Sie bisher
erreicht hätten, und ob unsere Zeit mit den uns auferlegten,
untragbaren Lasten nicht ganz ungeeignet ist, den Sieg Ihrer
Bestrebungen herbeizuführen. Aber Sie selbst haben in Ihrem
volkstümlichen Buch über die Bodenreform daran erinnert, daß
auch dem großen Friedrich List, als er für den Bau von Eisen-
bahnen eintrat, diese „Phantastereien“ verwiesen wurden mit
dem Hinweis auf die unerschwinglichen Kosten, und daß doch
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