Full text: Theoretische Sozialökonomie

© Kap. VIH. Der Arbeitslohn. 
Grade davon abzuhängen, ob sie langsam oder plötzlich eintritt. Eine 
zu schnelle Lohnsteigerung kann leicht Fleiß und Regelmäßigkeit des 
Arbeiters herabsetzen oder ihn zu einer unwirtschaftlichen, zuweilen so- 
gar seine Arbeitskraft direkt schädigenden Konsumtion verleiten und 
somit Gewohnheiten erzeugen, die für seine ganze künftige Wirt- 
schaftsführung verderblich werden und den Vorteil der Lohnsteigerung 
vielleicht ganz überwiegen. Die Schnelligkeit, mit welcher der junge 
Arbeiter unter modernen Verhältnissen sein höchstes Einkommen er- 
reicht, zeigt aus diesen Gründen oft unvorteilhafte Wirkungen. Ein 
hoher Arbeitslohn ist nach dem Gesagten wohl eine notwendige, keines- 
wegs aber eine hinreichende Bedingung einer Arbeit von hoher Effek- 
tivität. 
Es kann auch nicht allgemein behauptet werden, daß der Arbeits- 
lohn notwendig die laufenden Unterhaltskosten der Arbeitskraft decken 
muß. In Wirklichkeit kommen schwache und wirtschaftlich minder- 
wertige Arbeiter in so großen Massen vor, daß ihr Lohn nach dem 
Prinzip der Knappheit manchmal auf einen Betrag herabgedrückt wird, 
der auch zur Deckung der bloßen Unterhaltskosten der Arbeitskraft 
nicht hinreicht. Dies ist wiederum eine spezielle Bekräftigung unserer 
Auffassung des Angebots von Arbeitskraft als eines wesentlich durch 
selbständige Bestimmungsgründe gegebenen Faktors des Preisbildungs- 
problems. 
Es kann notwendig werden, so niedrige Arbeitslöhne durch Bei- 
hilfe der Familie, in besonderen Fällen auch durch Wohltätigkeit oder 
durch öffentliche Armenpflege zu ergänzen. Es ist folglich nicht mög- 
lich, das Kostenprinzip für die menschliche Arbeitskraft streng auf- 
recht zu erhalten. Es ist aber anderseits offenbar, daß Unterstützungen 
dieser Art immer schädliche Wirkungen haben müssen. Jede gesunde 
Sozialpolitik muß darauf zielen, Menschen im größtmöglichen Umfang 
zur Selbstverantwortlichkeit zu erziehen, und wird somit das Kosten- 
prinzip auch für die menschliche Arbeit im größten Umfang aufrecht- 
zuerhalten suchen. Eine Theorie des Arbeitslohns, die davon ausgehen 
wollte, ‚daß solche Bestrebungen ihr Ziel schon vollständig erreicht 
hätten, würde sich aber viel zu weit von der Wirklichkeit entfernen. 
Es geht aus dem Gesagten unzweifelhaft hervor, daß ähnlich wie 
das Angebot von Arbeitern, auch das Arbeitsangebot pro Arbeiter in 
erster Linie als gegebener Faktor des Preisbildungsprozesses zu betrach- 
ten ist. Sowohl die tägliche Arbeitszeit wie die Regelmäßigkeit und die 
Intensität der Arbeit werden wesentlich von allgemeinen, außerhalb des 
Preisbildungsprozesses stehenden Faktoren bestimmt. Der Einfluß des 
Arbeitslohns selbst tritt vollständig in den Hintergrund oder vermag sich 
jedenfalls nur nach längeren Zeiten und unter Mitwirkung anderer Fak- 
toren geltend zu machen. Daß unter solchen Verhältnissen die richtige 
erste Approximation der Preisbildungstheorie in der Voraussetzung 
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