Full text: Grenzen in ihrer geographischen und politischen Bedeutung

Gelegenheit, als Verteidiger des in diesem Fall von Ratzel wirk- 
lich verkannten Naturrechts gegen ihn in die Schranken zu 
treten. 
Man muß aber freilich nur selbst einmal — womöglich mit 
einer guten Lupe in der einen, einem Zeißglas in der andern 
Hand — eine Schneegrenze, eıne Wald- oder andere Vegetations- 
grenze, den „Fuß“ eines Gebirges, den „Hauptkamm“, eine 
„Wasserscheide“ in den Tropen abgegangen haben, man muß 
versucht haben, den Grenzsaum eines Sumpfes, ja die Uferlinie 
eines Sees festzustellen (schon ein botanischer Garten zeigt die 
Knifflichkeit des Erhaltens einer Verlandungszone!) von der 
wahren Küstenlinie in einem Mangrovesumpf gar nicht zu reden, 
um zu sehen, wie das Leben die sogenannten reinlichen Schei- 
dungen haßt, wie die Natur der geraden, in Karten einzeichen- 
baren Linie abgeneigt ist, vielfach ihrer geradezu spottet. Um 
wieviel mehr tun das erst alle ihre bodenvagen und landschwei- 
fenden Kinder! Selbst eine Straßenflucht, eine Baulinie, also 
etwas durchaus Künstliches, in einer schnurgeraden Straße, 
ist voller Rechts-Tücken und Servitute, vom hereinhangen- 
den Baum, dem Verhältnis zum Straßenkörper und seinen 
zahlreichen Rechten bis zum freilaufenden Hund. Wieviel 
schroffer ist der Abgrund zwischen Praxis und Theorie im 
Großen! 
Da sind Gebirge, die nicht nur nicht an der Stelle sind, wo 
sie sein sollten, sondern überhaupt nicht da sind (700); es gibt 
fallende Niveaulinien, über die das Wasser fröhlich bergan 
läuft. Da spricht Sir Thomas Holdich mit grimmigem Hohn in 
„on boundary making“ von der Grenzführung „am Fuß eines 
Gebirges“, das mit allen Varianten voller Tücke in andere 
Landschaftstypen übergeht, oder von der Grenze „3 km süd- 
lich eines Flußlaufes“, bei deren Feststellung man alle paar 
hundert Meter wieder einen lebensgefährlichen Flußübergang 
versuchen muß, unüberschreitbare Mesa- Abstürze fortwährend 
92
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.