Full text: Grenzen in ihrer geographischen und politischen Bedeutung

Selten ist eigentlich ein Abwechseln zwischen beiden Be- 
trachtungsweisen innerhalb derselben Persönlichkeit, wie bei 
dem universalen Ratzel, der auf der einen Seite im ozeanischen 
und kontinentalen Gegensatz den größten erkennt, der sich im 
Schicksal der Völker findet, auf der andern der Eigenart des 
Gebirges und seiner intimsten Einzelzüge so gerecht wird, daß 
er das schwer übertreffbare Muster seiner Darstellung der 
„Alpen inmitten der geschichtlichen Bewegungen“ hinstellen 
kann. Sonst machen sich Landschaftserziehung, Volks-, selbst 
Stammunterschiede, kurz die landschaftliche Herkunft und Prä- 
gung in der Regel im Lebenswerk zur Grenzerziehung dauernd 
geltend, 
Es ist bei den Völkern im allgemeinen ein später Schritt von 
der Empirie, vom Grenzinstinkt zur bewußten wissenschaft- 
lichen Beobachtung; noch seltener und später, fast immer für 
die betreffende Lebensform zu spät, erfolgt der zweite von der 
bewußten wissenschaftlichen Beobachtung zur planmäßigen 
Erziehung, was um so mehr wunder nimmt angesichts des 
frühen Auftretens und Auftauchens vereinzelter Wahrneh- 
mungen. Auch der Anblick großartiger Äußerungen bewußter 
Grenzempfindung, bewußten Grenzschutzes, z. B. in den von 
jungen Völkern über den Haufen geworfenen alten Kultur- 
reichen, wie dem römischen, dem chinesischen, dem indischen, 
schreckt junge Völker eher von den mit Scheu betrachteten 
Mauern und Grenzschutzbildungen der Fremden ab (in denen 
sie das Gefühl des Erstickens ihres Kraftgefühls, ihrer Weit- 
räumigkeit haben), als daß ihr Anblick sie zum Lernen reizt, 
wie man Grenzen bilde und schütze. Große Stammesunter- 
schiede treten dabei auch innerhalb der Volkheit auf, um so 
schroffer und. unvermittelter nebeneinander, je genialer die 
Völker, die Führer sind. 
Zu den berühmtesten, historisch ausreichend belegten Bei- 
spielen unseres deutschen Volkes gehört, neben den bekannten 
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