wanderung, von Flechten und Moosen, von Buchen und Fichten,
von weißen oder farbigen Rassen. Ob wir nun die einsamen pazi-
fischen Vogelinseln ins Auge fassen — etwa Leysan, das uns eine
furchtbare Beschreibung des Elends der bei der Raumverteilung
zu spät gekommenen Vogelproletarierkinder ins Gedächtnis
ruft -— (6) oder irgendeinen Großstadtrand; überall tritt uns die
Größe der Raum- und Grenzanschauung von Ratzel entgegen (7),
die uns die Empirie der Grenze zwingend erkennen lehrt (wie
erschütternd sie auch für den Friedliebenden sein möge), von der
Grenze als Kampfplatz, nicht als scheidender Rechtsnorm, wie
wir sie im II. Abschnitt suchen wollen.
Als Kampfplatz schildert sie uns denn auch, im Gegensatz zu
dem Grenzbegriff etwa des Aristoteles, die großartigste biogeo-
graphische Grenzanschauung, die uns das klassische Altertum
vererbt hat: die Konzeption des Lucretius Carus von den Grenzen
des Raums. Eine Auffassung, die wir seit ihrer Entstehungszeit
(95 v. Chr.) immer wieder aus unverdienter Vergessenheit reißen
müßten, wegen der wunderbaren Größe und Schönheit ihrer
Vorstellung von dem Speerwerfer, der als letzter an den äußer-
sten Grenzen des Raumes stände, und doch immer wieder sein
Geschoß aufs neue ins Unbekannte, nie Geschaute zu schleudern
vermöchte (8)! In der ganzen Weltliteratur kenne ich keine
schönere Erläuterung von Künstlerhand zu Ratzels wissenschaft-
licher Überzeugung.
Aber es ist kein Bild ewigen Friedens — auch an dieser Grenze
zum Letzten — nicht!
Als Organ, als lebendes Gebilde, zum Schwinden oder Wach-
sen bestimmt, nicht starr, keineswegs als Linie erkennen wir
die Grenze im Lichte der Empirie — im Gegensatz zu dem Be-
griff, den die Theorie uns hinstellt, wie die Scheinbarkeit der
Grenze zwischen Luft, Meer, Bergen und fernen Vegetations-
gürteln.
„Omne quod est igitur nulla regione viarum finitum est .. .!“
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