Full text: Grenzen in ihrer geographischen und politischen Bedeutung

den Buchstaben ein „posteros timeo“ des Rechtes, des Buch- 
stabens gegenüber der Natur. 
Aus diesem Gegensatz flammt der Zwiespalt zwischen den 
Sowjetbünden und Panasiaten und den alten Kolonialmächten, 
England wie Frankreich empor; aber auch die Einstellung des 
Tacitus zu den aus Spiel- und Wageleidenschaft sich selbst ver- 
kaufenden Germanen wie später das Verhältnis der Schweizer 
Gesetzgebung zur Reisläuferei quillt aus diesem Gegensatz. Die 
ganz starken Schweizer Gemeinwesen, die geopolitisch instinkt- 
sicheren, aber auch raumreichen wie Zürich, schaffen die Reis- 
läuferei, das Fremdvölkerdüngen mit Blut und Schweiß ab: die 
armen Urkantone hingegen benützen es als Geldquelle! „Cha- 
cun aspire ä ce qui lui manque“, sagte der Schweizer Kapitän, 
als ihm in Versailles jemand vorwarf, die Schweizer föchten ums 
Geld, die Franzosen um die Ehre! Der uralte Kontrast des 
ethisch betonten Volkstums gegen den rationalistischen — die 
Vorteile des von ihm gebauten Privatrechts einer Verfallzeit 
rücksichtslos ausnützenden — Staatsbegriff wirkt sich aus und 
setzt die aufkommende Volkskraft fast immer dem Buchstaben 
nach ins Unrecht. Der biologisch Stärkere empfindet das dann 
als die Wehrlosigkeit des anständigen Ehrenmannes gegen den 
ohne seelische Skrupel angewandten Rechtsbuchstaben. Aber 
„sie nennen es Treue“! 
Hier ist auch der durch eine zu scharfe Linientrennung er- 
wachsenden Grenzenlosen und Grenzenzerstörer zu ge- 
denken. Grenzenlose und Grenzenzerstörer, zwei ganz verschie- 
dene Typen: — die einen, die sich über organische Grenzen 
hinwegsetzen, weil sie ihnen nichts bedeuten, und die andern, 
die sie bewußt zerstören, weil sie nur die Hemmung, nicht den 
Schutz und nicht die organische Wohltat daran empfinden, — 
lassen sich auch zum Teil geographisch Sn in ihrer Ver- 
breitung, Herkunft und Einwirkung auf die politisierte Kultur- 
landschaft erklären. 
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