Nicht umsonst ist der erste Ruf nach dem „Freien Meer“ (68)
und einer andern Seerechtsordnung, als der durch die über-
legene Gewalt und die größeren Kanonen bestimmten, von den
Niederlanden, also von einem aufstrebenden Küstenkleinstaat
ausgegangen, der in seinem Kanalsystem, in seinem Het Y und
Helder geschlossene Meeresteile sein eigen nannte, auch über
See solche zu schaffen versucht hatte (Sundareich; Japanver-
kehr der Niederlande!).
In Japan freilich hatten sowohl Portugiesen und Spanier als
Niederländer das Ideal eines unbestritten umrandeten Bin-
nenmeeres vorgefunden, die japanische Inlandsee, jene unver-
gleichliche Schule der Seefahrt und Fischerei, von deren Ge-
wöhnung alle weiteren Versuche zur Meerumrandung des ja-
panischen Reiches ausgingen (69). Meerumrandung und Meer-
beherrschung, und sei es nur in Teilräumen, ist allezeit ein Ziel
höchster Verlockung für aufstrebende See- und Küstenrand-
völker gewesen und hat bis in die neueste Zeit seinen Reiz nicht
verloren. Russen und Nordamerikaner verführte er in der
Beringsee, Briten und Nordamerikaner in den nordamerikani-
schen Polargewässern. Die Sowjets behaupteten im Weißen
Meer, was Zarenrußland einst im Schwarzen versuchte, wo
vorher Hellenen, Genuesen, Türken der Reihe nach pontische
Herrschaften erträumten. Die Ägäis lockte seit dem Zusammen-
bruch des kurzen athenischen delischen Bundes immer wieder
zu neuen Anläufen (70).
Eine geschichtlich-erdkundliche Betrachtung des Aufbaues
von Inselstaaten und meerumspannenden Macht- und Wirt-
schaftskörpern gehört zu den politisch lohnendsten Betrach-
tungsweisen. Sie ist gerade für den überwiegenden, mehr bin-
nenländisch eingestellten Teil der Deutschen und Innereuro-
päer besonders fruchtbar, die aus der abgeschlossenen Geschichte
und Geographie von Venedig ein sehr nützliches ozeanisches
Gegenbeispiel zum Aufblühen und Zusammensinken ihres eige-
58