Full text: Die Systeme im neuzeitlichen deutschen Genossenschaftswesen, ihre Entstehung und ihr gegenwärtiger Stand

88 Zweiter Teil. Systemfragen der deutschen Raiffeisengenossenschaften. 
Ein arger Mißstand ist aber bei einem Teile der Darlehenskassen- 
vereine, und zwar von Anfang an, das Unwesen in Rückständen 
gewesen. Dagegen hat schon Raiffeisen ankämpfen müssen, und so 
ist es durch alle Jahrzehnte geblieben. Dies ist aber kein Fehler des 
Systems. Er liegt auch keineswegs überwiegend vor. Vielfach wird, 
wie vorher bereits bemerkt ist, ein falsches Verfahren schon bei der 
Einräumung von Krediten eingeschlagen. Daneben kommen aber 
auch Säumigkeit in der Verwaltung der Vereine und eine von 
Raiffeisen nicht gewollte, schlecht angebrachte Nachsicht vor. 
die auf vollständiger Verkennung der Auffassungen Raiffeisens 
beruht. Es ist die tägliche Arbeit der Verbandsrevisoren und der 
Revisionsverbände, das Rückständeunwesen mit Nachdruck zu be- 
kämpfen. 
Es kann heute als die allgemeine Meinung angesehen werden, daß 
Raiffeisen das landwirtschaftliche Kreditproblem im ländlichen Dar- 
lehenskassenverein glänzend gelöst hat. Ist der Vorschußverein 
nach Schulze-Delitzsch die Volksbank für den städtischen Mittel- 
stand geworden, so hat sich der Darlehenskassenverein zur Dorf- 
bank entwickelt. Er erledigt für die Landbewohner alle ihre geld- 
geschäftlichen Angelegenheiten allein und in Verbindung mit seiner 
Zentralkasse. Er bewirkt nach den neuzeitlichen Methoden ihre Zah- 
lungen und nimmt ihre Eingänge an Geldern auf. Die räumliche 
Nähe der Kasse ermöglicht eine schnelle persönliche Verbindung. 
Die planmäßige Förderung des Sparsinns führte früher den Dar- 
lehenskassenvereinen große Betriebsmittel zu. Viele Darlehens- 
kassenvereine zogen in dieser Form dauernd mehr Betriebsmittel aus 
dem Vereinsbezirk an sich, als sie bei den Mitgliedern im Kredit- 
geschäft unterbringen konnten. Die Umsätze zahlreicher Darlehens- 
kassenvereine gingen in die Millionen Mark. Es wurde ab und zu 
sogar die Frage aufgeworfen, ob die Darlehenskassenvereine an- 
gesichts des steigenden Wohlstandes der Bevölkerung für ihre 
ursprünglichen Aufgaben noch notwendig seien. Sie konnten mit 
großem Erfolge bei der Kleinsiedlung mitwirken1!!), Dann aber 
erfolgte infolge der Inflation der jähe Sturz. Die Vermögen der 
Genossenschaften sowie die Depositen und Einlagen der Mitglieder 
wurden fast restlos vernichtet. Es blieb nicht viel mehr übrig als der 
Rahmen und der Geist, aus welchem der Darlehenskassenverein 
geboren ist. Hiermit mußte die Arbeit von vorne begonnen werden, 
11) Vgl. Seelmann, Archiv für exakte Wirtschaftsforschung, 1914, Seite 367 f.
	        
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