Full text: Die Bedeutung des "Nationalen Systems" für die Vergangenheit und für die Gegenwart

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Ricardo führt eine ein wenig andere Sprache als die Vor- 
gänger, hat an steigender Einfuhr von Bodenprodukten nach Eng- 
land, mit der Folge steigender Ausfuhr von Manufakten und dem- 
gemäß sich verschärfender Industrialisierung, nichts auszusetzen. 
Doch das Problem der denkbar besten Gestalt der Nationalwirtschaft 
wird von ihm, dessen ganzes Augenmerk gebannt ist durch aktuelle 
Fragen, der soviel weniger zu »Spekulationen« neigt als die Quesnay, 
Hume, Smith, Malthus, Sismondi, nirgends eingehend erörtert. 
Auch bei den Manchesterleuten, welche scharf drängen auf ein 
Plus an Kornimport, damit ein Plus an Export von Fabrikaten sich 
ermögliche, sucht man eine Behandlung des Problems ex professo 
vergebens. Bloß gelegentlich betont einmal Peel, daß »dem einen 
Weizenfelder besser gefallen, dem andern Kattunmanufakturen«, 
und prägt so den Gegensatz zwischen den Agrarstaatlern (ich 
würde den Ausdruck »Harmoniestaatler« vorziehen) und den 
Industriestaatlern bildhaft aus — diesen uralten Gegensatz, der 
schon in den Tagen des Perikles die Geister scheidet; zu Beginn 
des Renaissancezeitalters wieder auflebt; um Mitte des Achtzehnten 
im Duell zwischen den Colbertisten und ihren Widersachern sich 
nur viel schärfer zuspitzt, 
Erst List, der entschieden, mit stärkstem Nachdruck, in 
klarsten, jeden Zweifel ausschließenden Formeln zum Industrie- 
staat sich bekennt, vollzieht den Bruch mit dem Ideal des Früh- 
liberalismus, 
Übrigens ihm selbst unbewußt! Davon, daß den Quesnay usw. das 
»harmonische« Wirtschaftsgebilde das Ideal war, hat er keine Kenntnis. So 
oft List die »Schule« angreift ob ihrer (vermeintlichen, von ihm hineininter- 
pretierten) Alleinberücksichtigung des Konsumenten-, Händler-, Menschheits- 
interesses — niemals verweist er ihr die Sorge, daß die Industrie zum Primat 
gelangen könne‘, Nur über einige zeitgenössische »Romantiker« — gemeint 
ist wohl vor allem Kosegarten — wird gespottet, denen »das furchen- 
pflügende Ochsengespann ein viel schönerer Anblick ist als der länderpflü- 
gende Dampfwagen«; die »sentimentale« Töne anschlagen über zu Verlust 
gehenden »Rasenteppich und .Morgentau, Blumenduft und Farbenschmelz«2, 
Hatte die »Schule« Schluß machen wollen bei dem »Agri- 
kultur-Manufaktur-Staate, wo Landwirtschaft und Nicht-Land- 
wirtschaft sich gegenseitig tragen, weitgehende Unabhängigkeit 
für die damalige Zeit durchaus mit Recht — die Überzeugung gehegt hätte, 
daß durch den hohen »Frachtenschutz« — die hohen Transportkosten von 
Lebensmitteln und Materialien — ein Zurückdrängen der nationalen Boden- 
produktion kaum zu befürchten stehe. 
1 Nur in der oben (S. 18) zitierten Stelle gegen Sismondi nimmt 
er, ganz beiläufig, von dem Antiindustrialismus der »Schule« Notiz, 
2 List, aa, 0. 5, 1X:
	        
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