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erwarten kann, daß sein Volk dem britischen an Reichtum und
Macht gleichkomme — die Forderung des Tages, den antibritischen
Erziehungsschutz, dem Leser ständig vor Augen hält und ein-
gehend begründet, behandelt er das Industriestaatsideal wie eine
cura posterior; zieht es zwar oft genug, aber mit langen
Pausen auf; läßt ihm nirgends eine zureichende Rechtfertigung
zuteil werden; setzt sich nirgends mit der Polemik des Früh-
liberalismus wider das »einseitige« Wirtschaftsgebilde auseinander.
Wenn er sein Ideal auf die »Lehren der Geschichte« stützt, —
Frankreich und England, welche sich einer auf Steigerung des
Manufaktenexports gerichteten Handelspolitik beflissen hätten!,
führten doch die Spitze der Kulturwelt! — so ist damit ja nichts
bewiesen. Wer’s nicht glauben will, darf fragen: post, aber auch
propter hoc?
Auch mit den Lobgesängen auf den Gewerbefleiß; auch
damit, daß er Völker, wo nur die »Agrikulturkraft« ausgebildet
ist, wo noch nicht »der Manufakturist neben dem Agrikulturisten
sich niedergelassen hat«, wie aller höheren Kultur bar zeichnet,
ist ja nichts bewiesen. Die Industrie hat Lichtseiten, die bei ihm
in höchst eindrucksvoller Weise herausgestellt werden; sie hat auch
Schattenseiten, von denen er schweigt. Durch Bilanzierung einer-
seits der Wirkungen der Landwirtschaft auf das materielle, sittliche,
geistige Dasein der Völker, anderseits der Industrie kommt man
der Lösung des Problems ‚»Harmoniestaat« oder »Industriestaat«
nicht näher, Da handelt es sich um zumeist recht subjektive Urteile;
da gilt schließlich: »de gustibus non est disputandum«,
Sachliche, für die Lösung dieses Problems wirklich ver-
schlagende Argumente streut List nur hie und da ein; ohne daß
irgendwo ein systematischer Aufbau erfolgte. So das Argument,
daß, je größer der Manufaktenexport, desto größer die
Bevölkerungskapazität eines Landes? — das aber von ihm
längst nicht so scharf geschliffen wird wie einst von den Colbertisten.
So das Argument, daß »Produkteneinfuhre, Import von Lebens-
mitteln und Materialien, »das Ausland von uns abhängig
macht und ihm die Mittel benimmt, selbst zu fabriciren«, ihm
»den Stoff zur Beschäftigung und zur Ernährung seiner
Bevölkerung entzieht und denselben unserer Nation
zuwendet«, und so deren Einfluß »auf die Angelegenheiten der
Welt vermehrt und uns die Mittel lieferte, durch entsprechende
Steigerung des Manufaktenexports, »mit allen anderen Nationen . .
1 Vgl. oben: S, 21.
2 Vgl. H. Dietzel, List’s Nationales System und die »nationale« Wirt-
schaftspolitik, a. a. O., S. 373 f., 308. — Eheberg, a, a. O., S. 200, 205.