Full text: Strukturwandlungen der Weltwirtschaft

Bernhard Harms 
Und eben diese Tatsache ist bezeichnend. Sie wird es um so mehr, je 
gründlicher man sich mit ihren Einzelheiten vertraut macht. Die Kapital- 
anlagen der Vereinigten Staaten in Zentral- und Südamerika beliefen 
sich im Jahre 1914 auf 3, im Jahre 1924 hingegen auf 18 Milliarden 
Mark. In Ostasien ist das Verhältnis 0,6 zu 3,7 Milliarden Mark, in den 
britischen Kolonien 2,2 zu 11,4 Milliarden Mark und in Europa (ohne 
die noch nicht regulierten politischen Guthaben) 0,2 zu 57,2 Milliarden 
Mark. Bei dem europäischen Guthaben der Vereinigten Staaten 
handelt es sich zu ’drei Viertel um sog. politische Guthaben, und 
der Rest sagt nichts im Sinne der weiteren Welterschließung. Wohl 
aber weisen die übrigen Kapitalanlagen auf diese Spur. Weitaus der 
größte Teil der 15 Milliarden Goldmark, die in den zehn Jahren 1914 bis 
1924 in Zentral- und Südamerika angelegt worden sind, hat der weiteren 
wirtschaftlichen Erschließung dieser Länder gedient. Das gleiche gilt 
für Ostasien und die englischen Kolonien, wo im genannten Jahrzehnt 
von den Vereinigten Staaten mehr als 12 Milliarden Mark neu investiert 
worden sind. Vergleicht man mit diesen Zahlen das Wachsen ausländischer, 
insbesondere überseeischer Kapitalanlagen Europas in der Vorkriegszeit, 
so fällt der Unterschied in die Augen. England brauchte ein Jahrhundert, 
um ein Nettoguthaben von 60 Milliarden Goldmark, Deutschland andert- 
halb Menschenalter, um 30 Milliarden und Frankreich zwei Menschen- 
alter, um 50 Milliarden Mark Auslandguthaben zu erwerben. Die Ver- 
einigten Staaten hingegen verwandelten in einem Zeitraum von noch 
nicht zehn Jahren Europa gegenüber ihr Minus von 16 Milliarden in ein 
Plus von fast 60 Milliarden Mark und vermehrten darüber hinaus ihre 
Kapitalanlagen in der übrigen Welt um annähernd 30 Milliarden Mark. 
Gegenüber solcher Entwicklung erscheint einem das, was sich im 19. Jahr- 
hundert ereignete, geradezu als Frühkapitalismus. Vom engeren Herr- 
schaftsbereich der Bolschewisten abgesehen — zu deren Bedauern —, gibt 
es keinen wirtschaftlich aussichtsvollen Raum auf dieser Erde, in welchem 
sich amerikanisches Kapital nicht eingenistet hätte. Selbst in den alten 
Gebieten des englischen, holländischen und belgischen Kolonialkapita- 
lismus macht es sich breit. Engländer, Holländer und Belgier sind es 
aber auch, die von Europa aus den Prozeß weiterhin beeinflussen. Für 
England ist es ein wahres Glück, daß die City sich durch parteipolitische 
und soziale Erschütterungen, die um sie vorgehen, nicht bestimmen läßt, 
sondern unbeirrt an dem kapitalistischen Geist festhält, der auch die 
ältere Generation in Downing Street soziale und parlamentarische 
Kämpfe als eine »innere Angelegenheit« werten ließ. Mit Einschränkung 
gilt das gleiche für Holland und Belgien, deren kapitalistische Oberschicht 
sich trotz allem, was die innere Politik bewegt, den auf wirtschaftliche 
Expansion gerichteten kapitalistischen Geist bewahrt hat.
	        
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