Strukturwandlungen der Weltwirtschaft
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Nunmehr zu etlichen Beispielen aus dem Wirtschaftsbereich des
Weltkapitalismus, die andeuten mögen, was an Strukturwandlungen
großen Stils in der jüngsten Vergangenheit auf ihn zurückzuführen ist.
Ich beginne mit etlichen Angaben über Strukturwandlungen auf den
Gebieten der Energiewirtschaft. Bekannt ist, daß die Welt zur Zeit
eine Krisis in der Kohlewirtschaft durchmacht, die sich zunächst aller-
dings im wesentlichen auf Europa beschränkt (und überdies durch den
englischen Bergarbeiterstreik vorübergehend ein anderes Gesicht erhalten
hat). Sie ist ein vortreffliches Beispiel für die teils konjunkturell, teils
strukturell bedingten Ursachen von Krisen überhaupt. Die vermin-
derte Nachfrage nach Kohle ist einerseits die Folge der durch schlechten
Geschäftsgang in der Industrie bedingten Nachfrage; überdies ist sie
darin begründet, daß auf dem europäischen Kontinent, bei gegenüber
der Vorkriegszeit etwa gleichgebliebener Produktionsmenge, Verschie-
bungen zugunsten früherer Zuschußländer, Frankreichs, Spaniens, der
Niederlande, Belgiens, und zu Lasten der Überschußländer, vor allem
Polens und der Tschechoslowakei, stattgefunden haben. Die Produktion
in den europäischen Einfuhrländern hat zugenommen, die Produktion
in den Absatzländern abgenommen. Äußern sich darin schon gewisse
Strukturwandlungen, die sich künftig wahrscheinlich noch deutlicher
ausdrücken werden, so ist die eigentliche Ursache der Kohlenkrisis auf
Strukturwandlungen zurückzuführen, die sich innerhalb der gesamten
Energiewirtschaft vollzogen haben und vornehmlich die Folge technischer
Umwälzungen sind, deren Ausnutzung sich der Weltkapitalismus mit
Hingabe angelegen sein ließ.
In Betracht kommt da zunächst die gewaltige Steigerung der Mineral-
ölproduktion von 52 Millionen t im Jahre 1913 auf rund 145 Millionen t
im Jahre 1925, ein Ergebnis, das trotz Rückgangs der Produktion in
Galizien und Stagnation in Rumänien durch größere Ergiebigkeit in
Persien und die Neuerschließung von Lagerstätten in Mittel- und Süd-
amerika sowie in Kalifornien erzielt worden ist. Der künftige Geschicht-
schreiber wird das erste Viertel des 20. Jahrhunderts vermutlich als ein
Zeitalter des Kampfes um die Ölfelder der Erde bezeichnen mit maß-
geblichem Eingreifen der politischen Mächte. Bekannt ist, daß die
Konferenz von Genua hinter den Kulissen eine Auseinandersetzung über
Ölinteressen war. — Mineralöl hat längst aufgehört, vornehmlich Be-
leuchtungszwecken zu dienen, es findet in wachsendem Ausmaße als
Antriebskraft Verwendung und verdrängt zunehmend die Kohle. Aus
den 145 Millionen t Erdöl, die im Jahre 1925 gewonnen worden sind,
wurden etwa 70 Millionen t Heizöl gewonnen, die als unmittelbare Kon-
kurrenz der Kohle in Betracht kommen; sie entsprechen dem Heizwerte
nach etwa 120 Milionen t Kohle. Das Heizstoffplus durch vermehrte