Strukturwandlungen der Weltwirtschaft
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wirtschaften in ihren rein tauschwirtschaftlichen Beziehungen als indi-
vidualistische Marktwirtschaft, Volks- und Weltwirtschaft hingegen
als Raumwirtschaft begriffen werden. Volkswirtschaft: Sonderraum,
Weltwirtschaft: Gesamtraum.
Eine Untersuchung der Weltwirtschaft führt in gleicher Weise auf
den Tatbestand der Einheit wie der Mannigfaltigkeit. Je nach der
Problemlage kann die Einheit oder die Mannigfaltigkeit Ausgangs- und
Mittelpunkt sozialökonomischer Forschung sein. Dies gilt — wie ich
nebenher bitte ausführen zu dürfen, obwohl sich darin ein methodologi-
sches Programm ankündigt — für alles, was wir unter »Wirtschaft«
begreifen. Wirtschaft kann entweder betrachtet werden als gestaltete
Einheit oder als bloßer Inbegriff von Mannigfaltigkeit. Im ersten Falle
erscheint sie als Sozialwirtschaftsgebilde, im zweiten Falle als Sozial-
wirtschaftsgefüge. Demgemäß scheidet sich auch sozialökonomische
Theorie in Gebildetheorie und Gefügetheorie. Für die Gebilde-
theorie ist Erkenntnisobjekt das Gebilde als solches, seine strukturelle
Gestaltung im ganzen wie im einzelnen unter dem Einfluß von Ideen und
Zwecksetzungen, die auf die Ganzheit Bezug haben. Von dieser Seite
wird Wirtschaft in dem lebendigen Zusammenhang mit der Gesellschaft,
in ihren fundamentalen Beziehungen zum Staat und zu staatlichen Ver-
bindungen, zum staatlichen und internationalen Recht gesehen. Die
Gefügetheorie dagegen läßt den Umstand, daß eine Vielheit von markt-
wirtschaftlichen Tauschbeziehungen in einem lebendigen Zusammenhang
aufgehoben ist, außer Betracht. Sie macht nur die marktwirtschaftlichen
Tauschbeziehungen als solche zu ihrem Erkenntnisobjekt und ist als mecha-
nistisch-quantitative Theorie im wesentlichen an isolierende Methode
gebunden; in Anwendung auf konkretes Sein verfährt sie nach dem
Prinzip »abnehmender Abstraktion«.
Untersuchungen der weltwirtschaftlichen Struktur und ihrer Wand-
lungen, die nicht an Symptomen haften bleiben wollen, sondern auf
Ursachenforschung gerichtet sind, bedürfen ebensowohl der gefüge- wie
der gebildetheoretischen Einstellung, d. h. sie müssen gleicherweise unter
dem Gesichtswinkel ihrer individualistisch-marktwirtschaftlichen wie uni-
versalistisch-raumwirtschaftlichen Bedingtheit durchgeführt werden.
Denn auf die Motivation hin betrachtet, sind weltwirtschaftliche Struktur-
wandlungen entweder die gewollte Auswirkung wirtschaftspolitischer
Ideen und Zwecksetzungen oder die unbeabsichtigte Folge individuali-
Stischen Erwerbsstrebens. Daß daneben auch andere, zufällige Ur-
Sachen, wie Krieg und elementare Ereignisse, zu Strukturwandlungen
führen können, sei hier außer Betracht gelassen.
Strukturwandlungen der Weltwirtschaft, bedingt von seiten des
Marktes und des Raumes! Für wissenschaftliche Erkenntnis ein funda-
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