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4. Abschnitt. A.
I. Die Idee des Friedens
ist der Grundgedanke des Völkerbundes. Die Friedenssehnsucht der
Menschheit tritt in verschiedenen Zeiträumen auf verschiedenen Ge-
bieten auf und strebt mit verschiedenen Mitteln nach Verwirklichung.
Einmal ist es die Religion, ein anderesmal die Kultur, dann wieder die
Technik, die der Menschheit einen dauernden Frieden verheißen soll.
Nach manchen Mißerfolgen mit der hohen Politik wurde in unseren
Tagen die Wirtschaft dazu auserkoren, die Gegensätze der Völker durch
zielbewußtes Zusammenarbeiten zu vermindern. Für die pazifistischen
Bestrebungen auf dem Gebiete der Wirtschaft war die Erkenntnis aus-
schlaggebend, daß in der Reihe von Motiven, die den Weltkrieg heraufbe-
schworen haben, die wirtschaftlichen Gelüste einzelner Staaten keine un-
tergeordnete Rolle gespielt haben. Der Kriegswille wurde von wirtschaft-
lichen Interessen geweckt, aus wirtschaftlicher Eifersucht genährt, mit
wirtschaftlichen Mitteln durchgesetzt. Während aber der militärische Waf-
lengang neben den wirtschaftlichen auch andere Machtziele verfolgte,
wird der Kampf, der ihn ablöste, ganz auf wirtschaftlichem Gebiete
ausgefochten. Zolltarife, Ein- und Ausfuhrbeschränkungen, Ursprungs-
zertifikate und andere schikanöse Mittel und Praktiken werden dem
Arsenale wirtschaftspolitischer Kriegskunst entliehen und zu dichten
Drahtverhauen an den sinnlos verlängerten Zollgrenzen verflochten.
Die mittelbaren Schäden dieses wirtschaftlichen Stellungskrieges sind
kaum geringer, als die der unmittelbaren Zerstörungen des militäri-
schen Feldzuges.
Es ist kein Zufall, daß die neue Friedensbewegung auf dem Gebiete
einsetzt, wo noch immer so viel Schaden angerichtet wird und wo die
Hoffnungen der Menschheit noch immer so arg enttäuscht werden. Der
ständige Kriegszustand auf wirtschaftlichem Gebiete hat als natürliche
Reaktion eine ähnliche Bewegung im Interesse des Friedens ausgelöst.
Die Wirtschaftskonferenzen von Brüssel, Porto-Rose, Genua, sowie
las Manifest der Wirtschaftsführer, sie haben sich alle zur Aufgabe
gemacht, diesem wirtschaftlichen Nachkriegskrieg ein Ende zu bereiten.
Auch die Weltwirtschaftskonferenz muß in erster Reihe als eine groß-
zügige Veranstaltung im Interesse der Friedenssicherung betrachtet
werden. Die wiederholten Versuche mit Abrüstungskonferenzen,
Schiedsgerichtsprotokollen haben versagt. Locarno bedeutet zwar einen
verheißungsvollen Versuch zur Ausgleichung staatlicher Gegensätze,
der jedoch noch nicht erprobt ist. Zur Beseitigung künftiger Kriege
hatte man sich um bescheidenere, realpolitisch eben deshalb aussichts-
vollere Mittel umzusehen. Die ideenhafte Beeinflussung der Weltmei-
nung im Sinne der internationalen wirtschaftlichen Interessensolidari-
tät schien naheliegender und zielsicherer zu sein, als die Verwirklichung
rein politischer Ideale. Von der Weltpolitik soll eine Abkehr zur Welt-
wirtschaftspolitik stattfinden, die mit der ersteren nur das Räumliche
zemeinsam hat, in ihren Mitteln und Zielen aber grundverschieden ist.