Der Ideengehalt der Weltwirtschaftskonferenz., 101
will solchen Ländern, mit denen man bereits Handelsverträge mit Tarif-
bindungen abgeschlossen hat, Verhandlungen darüber vorschlagen, ob
diese Verträge nicht durch beiderseitige Einbeziehung neuer Tarifpo-
sitionen oder durch eine wechselseitige. Absenkung der Vertragstarife
ausgebaut werden können. Außerdem soll der Reichswirtschaftsrat zu-
sammen mit dem handelspolitischen Ausschuß des Reichstages ein Gut-
achten über eine Revision des geltenden deutschen Zolltarifes zwecks
Herabsetzung des Zollniveaus erstatten.
Gewiß wäre es verfrüht, diese vereinzelten Fälle als einen Um-
schwung in der seit dem Kriege herrschenden Absperrungspolitik zu
deuten, als Anzeichen eines beginnenden Gesinnungswechsels dürfen
sie dennoch gewertet werden. Und sollten auch andere Staaten nur zö-
gernd und widerstrebend den Beispielen folgen, die Idee des weltwirt
schaftlichen Friedens ist am Werke und wird sich Geltung verschaffen:
II. DieIdee der Verbundenheit der. Völker‘
ist der Grundgedanke der Weltwirtschaft. Der Kriegsgeist hat im Frie-
densgeist, die nationale Idee in der Verbundenheit der Völker ihr Wider-
spiel. Während aber Krieg und Frieden sich begrifflich ausschließen,
können nationale Idee und Weltwirtschaftsidee nebeneinander wohl be-
stehen, wenn auch der. Ruf nach Weltwirtschaft als Reaktion gegen den
übertriebenen Nationalismus erschallt. „Es ist die Tragik des nationalen
Willens, daß er ohne zunehmende. Solidarität der weltwirtschaftlichen
Interessen die produktiven Kräfte gar nicht zur Entfaltung bringen
kann 1).‘
Die Idee der Verbundenheit der Völker wurzelt nicht im Wirtschaft-
lichen. Noch lange, bevor die Weltwirtschaft. von Bedeutung für die
Entwicklung der Völker wird, ist die Verbundenheit in den politischen
und kulturellen Beziehungen offenkundig... Statistisch erfaßbar, daten:
mäßig nachweisbar wird die Idee jedoch erst durch die Verbundenheit
der Völker in ihren wirtschaftlichen Verflechtungen. Das enorme Do-
kumentationsmaterial der Weltwirtschaftskonferenz hat die wirtschaft.
liche Abhängigkeit der Völker unwiderlegbar bewiesen und ihnen zum
Verständnis gebracht, daß auch das Prinzip der Souveränität seine
Grenzen habe, die nicht ohne Schaden für das allgemeine Wohl der
Menschheit überschritten werden können.
„Wenn das Material der Konferenz — heißt es im Schlußberichte ?)
— einerseits dazu dient, auf die dunkelsten Seiten der gegenwärtigen
Lage hinzuweisen, läßt es andrerseits die gegenseitige Abhängigkeit
der Nationen, Industrien und sozialen Klassen scharf hervortreten.“
Die gemeinsame Not, aber auch die erwachende wirtschaftliche Ein-
sicht hat tatsächlich in manchen Zweigen der Produktion und bei ge-
1) Fr. Eulenburg, Die handelspolitischen Ideen der Nachkriegszeit, Weltwirtschaftl,
Archiv, Bd. XXV, H.1, S.102,
2) Mantelnote 8.7.