Weltwirtschaft und Weltwirtschaftskonferenz, 11
einzelnen Nationen; sobald aber ihre Organisation ausgebaut ist, stellt
sie selbst eine Macht dar, der sich die einzelnen Nationalwirtschaften
anzupassen haben. Die Wechselwirkungen beider Kategorien werden
zuletzt so eng und verwoben, daß es fast unmöglich erscheint, die Er-
scheinungen der Nationalwirtschaft und der Weltwirtschaft auseinan-
derzuhalten. Selbst die wissenschaftliche Untersuchung kann ihre Fol-
gerung nur aus der gleichzeitigen Beobachtung beider ziehen. Wenn
die „Politische Ökonomie“, wie sie von den Klassikern der englischen
Wissenschaft aufgebaut wurde, als die Anatomie des englischen Ge-
schäftslebens am Wendepunkte des XVIII. und XIX. Jahrhunderts an-
gesehen werden kann, so hat die Sozialökonomie in der vollendeten
Form, die sie im ersten Jahrzehnt des gegenwärtigen Jahrhunderts er-
reicht hat, als die Biologie des weltwirtschaftlichen Makro-
kosmos, nicht aber der nationalen Mikrokosmen zu gelten. Diese Ent-
wicklung setzte in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts
ein und dauerte mit steigender Kraft bis 1914, als der mächtige Bau
der Weltwirtschaft durch den Stoß des Krieges in seine Bestandteile zer-
fiel. Das Gerüst der Weltwirtschaft wurde nach dem Kriege durch die
elementare Kraft des Verkehrs und der Technik wohl wieder aufgerich-
tet, die Erschütterungen der häufig wiederkehrenden und tiefreichenden
Wirtschaftskrisen haben ihr indessen bedenkliche Risse zugefügt. Heute
sind. wir so weit, daß die Zusammenhänge und die Einheitlichkeit der
Weltwirtschaft hauptsächlich durch die in dem Wirtschaftsleben der
verschiedenen Völker gleichzeitig auftretenden Krisen an-
schaulich gemacht werden. Diese Krisen, die auf gemeinsame Urt-
sachen zurückgeführt werden können, drängen die Völker schicksalsge-
mäß zur Erkenntnis der weltwirtschaftlichen Solidarität. Die Erkennt
nis der weltwirtschaftlichen Solidarität ist eine wesentliche Vorbedin-
gung des friedlichen Zusammenwirkens aller Völker. Der Völker-
Bund hat dem Gedanken bereits bei seiner Gründung im $ 23 seiner
Satzung Rechnung getragen, wonach die Bundesmitglieder „die nofwen-
digen Bestimmungen treffen, um die Freiheit des Verkehrs und der
Durchfuhr sowie eine angemessene Behandlung des Handels aller Bun-
desmitglieder zu sichern und aufrechtzuhalten‘. Den ersten Teil der
in diesem Punkte übernommenen Verpflichtungen trachtet die Ver-
kehrsorganisation des Völkerbundes (Commission des communications
et du transit) mit ihrer weitreichenden Tätigkeit zu erfüllen. „Die
angemessene Behandlung des Handels“ wurde dagegen dem Wirt-
schaftskomitee des Völkerbundes (Comite &conomique) anvertraut. Den
Begriff näher zu bestimmen hat der Oberste Rat der Verbündeten in
seiner am 8. März 1920 angegebenen Deklaration versucht, in der gegen
jede künstliche Einschränkung des Wirtschaftslebens Stellung genom-
men wurde: Die Brüsseler Konferenz hat die Grenzen dieses Begriffs
willen zusammengehalten, zu, einer organischen und organisierten Einheit zusammen:
wuchsen“, Vgl. Rudolf Stolzmann, Theoretische Grundfragen zum Problem Frei-
handel oder Schutzzoll? Jena, 1927. S.10L1.