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gewerkschaften und das Kartell- und Trustwesen darstellen. Die Ten-
denz zu einer relativen, Verteuerung der fertigen Waren hat allgemeine
Gültigkeit für die ganze Welt; außer Zweifel leidet Europa am stärk-
sten darunter. Europa gleicht einem Fabrikanten, der seine Preise zu
hoch hält, und der dadurch gezwungen ist, ein großes Lager zu halten.
Allerdings hat Europa nicht Fabrikate lagernd, sondern unverwendete
Arbeitskräfte. Diese Lagerung der Arbeitskräfte hat einen sehr großen
Preis. Die hohen Löhne der monopolartig geschützten Arbeitergruppen
gehen zum Teil auf Kosten außenstehender Arbeiter. Die künstliche
Verschiebung der Arbeitslöhne hat stark zur Verteuerung der industriel-
len Produktion beigetragen und ist dadurch auch für den mangelnden
Absatz der Industrieprodukte und für die außerordentlich starke und
anhaltende Arbeitslosigkeit der Industrieländer mit verantwortlich.
Cassel hat auf der Konferenz für seine Analyse der Weltlage nicht das
erhoffte Verständnis gefunden, hat sie daher später in populärer Form
unter dem Titel „Das Rätsel der Weltlage. Die Weltwirtschaftskonfe-
renz hat versagt“ publizistisch verbreitet.
Graf Bonin Longare (Italien) widmete als zweiter Redner warme
Worte der wirtschaftlichen Tätigkeit des Völkerbundes, der seine Auf-
gabe, die Sicherung des Friedens, nur erfüllen könne, wenn der Frie-
densgedanke auch auf wirtschaftlichem Gebiete zur Auswirkung ge-
lange. Viele Kriegsursachen, die früher Blut forderten, sind dank dem
Fortschritte in unseren politischen Sitten aus der Geschichte ausge-
schieden, Aber die wirtschaftlichen Konflikte und Rivalitäten befinden
sich noch immer an der Wurzel internationaler Zusammenstöße. Das
zann nur ein Ende nehmen, wenn sich die Überzeugung Bahn bricht, daß
das Wohlergehen eines Landes stark von demjenigen der anderen ab-
hänge. Der frühere englische Handelsminister Runciman kennzeich-
nete als Vertreter der Internationalen Handelskammer den Inhalt der
Denkschrift, die über die Hemmnisse des internationalen Handels unter
Milwirkung von 22 Nationalkomitees der Konferenz vorgelegt wurde.
Er wies auf die derzeitige verhängnisvolle Zollpolitik hin, aus der eine
schrittweise Befreiung gesucht werden müsse durch den Abschluß von
langfristigen Handelsverträgen und Stabilisierung der Zolltarife. Die
kurzfristigen, immer wieder von neuem steigenden Zolltarife machten
die früheren langfristigen Lieferungsverträge des Handels fast zu einer
Unmöglichkeit, was sowohl die Produzenten wie die Konsumenten und
nicht zuletzt die Arbeiterschaft schwer schädige. Eine Niederlegung der
Zollschranken sei in unserer Generation wegen ungenügender Vorbe-
reitung der öffentlichen Meinung kaum möglich, doch würde es schon
von großem Nutzen sein, wenn in dieser Richtung ein gewisser Ein-
Muß auf die Regierungen und Parlamente ausgeübt werden könnte in
dem Sinne, daß die Zolltarife herabgesetzt, die Handelsverträge im
Geiste gegenseitiger Verständigung abgeschlossen, die Tarifsätze sta-
bilisiert und die Zollverzeichnisse vereinheitlicht werden. Der frühere
Handelsminister Gliwic (Polen) erblickt die größte Schwierigkeit der