Arbeitsphysiologie
und Rationalisierung
VON PROFESSOR DR. EDGAR ATZLER (BERLIN)
Mitglied des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Arbeitsphysiologie
FRANKFURTER ZEITUNG i
1. MORGENBLATT VOM 28. APRIL 1926
Seit den grundlegenden Arbeiten des genialen amerikanischen
Ingenieurs Taylor hat sich die Erkenntnis immer stärker durch-
gerungen, daß bei allen Rationalisierungsbestrebungen auch der
Eigenart des Menschen Rechnung getragen werden muß. Man
darf sich nicht damit begnügen, die Konstruktion der Maschine
und die Organisation des Betriebes zu verbessern, sondern man
muß auch der physischen und psychischen Eigenart des Arbeiters
Rechnung tragen, wenn die Rationalisierung vollständig sein soll.
Krieg, Hungerblockade, Not und Elend haben die körperliche
Widerstandskraft weitester Volkskreise untergraben. Es gilt
also hauszuhalten mit dem Rest der uns verbliebenen Menschen-
kraft, die unser köstlichstes Besitztum darstellt, Wohl müssen
wir alle Kräfte anspannen, aber die Gesundung unserer Wirt-
schaft darf nicht mit dem Ruin unserer physischen Volkskraft
erkauft werden. Wenn wir auch darauf sehen müssen, daß jeder
einzelne möglichst viel produktive Arbeit leistet, so müssen wir
doch aus Gründen der Menschlichkeit und der Klugheit danach
trachten, einer vorzeitigen Abnutzung vorzubeugen; wir müssen
die individuelle Leistungsfähigkeit möglichst lange erhalten.
Die Arbeitsphysiologie löst diese Aufgabe, indem sie jeden
im praktischen Leben vorkommenden Arbeitsprozeß so zu ge-
stalten sucht, daß unter einem Minimum von Energieaufwand
Maximalleistungen erzielt werden, Diese junge Wissenschaft
fahndet also nach Optimalleistungen; sie steht damit
im Gegensatz zum Taylorsystem, das Maximalleistungen ohne
Rücksicht auf die Höhe des Energieverbrauchs fordert.
Nicht jede Mehrleistung bedeutet Rationalisierung im physio-
logischen Sinne. Wird die Produktionserhöhung durch ver-
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