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tuierung der Sowjetregierung, Gleich am zweiten Tage nach ihrer
Konstituierung — am 26. Oktober/8. November 1917 — erschien das
erste Agrardekret der Sowjetregierung, dem zufolge der Großgrundbesitz
ohne jedes Entgeld aufgehoben wurde. Bestätigt wurde dieses Dekret
durch das am 19. Februar 1918 für die Russ. Soz. Föd. Sowjetrepublik
erlassene Gesetz über die Sozialisierung des Bodens. Diesem Gesetz
zufolge steht den einzelnen Bürgern sowie ihren Korporationen nur das
Recht der Landnutzung zu, d. h., das Land zu bearbeiten und Nutzen
daraus zu ziehen. Die Epoche der Sowjetagrargesetzgebung, die durch
das Gesetz vom 19. Februar 1918 gekennzeichnet wird, ist die „auUs-
gleichende“ genannt worden, da in 8 12 des Dekretes vom 19. Februar
1918 die Aufteilung des Bodens unter die arbeitende Bevölkerung auf
der Grundlage einer Ausgleichung proklamiert wurde. (In der Ukraine
kxonstituierte sich die Sowjetregierung erst Anfang 1919 und das von
der Ukrainischen Soz. Sowjetrenublik im Jahre 1919 erlassene „Manifest
4er Provisorischen Arbeiter- und Bauernregierung‘“ sowie das „Statut
über die Sozialisierung des Bodens und die sozialistische Bodeneinrichtung‘‘
vom 26. Mai 1919 kopieren in der Hauptsache die Gesetzgebung der
Russ. Soz. Föd. Sowjetrepublik.)
Eines der hervorragendsten Werke W. Lenin’s, „Das Agrarpro-
gramm der Sozialdemokratie in der ersten Russischen Revolution“, be-
gründet, zwecks besserer Entwicklung der produktiven Kräfte des Landes,
die Notwendigkeit, den ganzen Grund und Boden dem Privatverkehr zu ent-
ziehen. In dieser im Jahre 1908 erschienenen und von der zaristischen
Zensur beschlagnahmten Arbeit weist Lenin auf die materiellen und
moralischen Vorteile einer Nationalisierung des Bodens hin. Ueber die
materiellen Vorteile schreibt er: „Nichts ist im Stande, die Reste des
Mittelalters in Rußland so vollständig zu beseitigen, das im Asiatismus
halbverfaulte Dorf wiederherzustellen und den landwirtschaftlichen Fort-
schritt so zu fördern, wie dıe Nationalisierung des Bodens. Jede andere
Lösung der Agrarfrage während der Revolution hat weniger günstige
Ausgangspunkte für die weitere wirtschaftliche Entwicklung im Gefolge.“
{S. 128.) *Den moralischen Vorteil sieht Lenin darin, daß das Proletariat
dadurch einer Form des Privateigentums einen Schlag versetzt, „dessen
Widerhall in der ganzen Welt unvermeidlich ist“.
Im Herbst 1921, nach dem X. Kongreß der Russischen Kommuni-
stischen Partei und nach dem Uebergang von der Getreideverteilung
zur Naturalsteuer, setzt die neue ökonomische Politik ein. Auf
dem Gebiete der Bodenverhältnisse wird der Uebergang zur neuen
5konomischen Politik durch die Bestimmungen des im Dezember 1921
tagenden IX. Allrussischen Rätekongresses festgelegt. Dieser Kongreß
stellte die Grundprinzipien der neuen Agrarpolitik fest, die in folgenden
Bestimmungen wurzeln: a) Fortbestehen der Nationalisierung des Bodens,
b) Freie Wahl der Bodenausnutzungsformen und c) Stabilisierung der
Bodennutzung. Die vom IX. Rätekongreß angenommenen prinzipiellen Richt-
linien wurden in Rußland durch das Gesetz vom 22. Mai 1922, in der Ukraine
Aurch das Gesetz vom 27. Mai 1922 im einzelnen ausgearbeitet. Diese