Full text: Entwicklung der Reklame vom Altertum bis zur Gegenwart

REKLAME VON DER KANZEL 
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Diese Gesetzessammlungen mußten auch auf den Kanzeln 
verlesen werden, damit sich niemand mit Ungewißheit ent- 
schuldigen möge. Im Mittelalter bildete überhaupt die Kanzel 
eine beliebte Form der öffentlichen Ankündigung für alles, 
das der Allgemeinheit zur Kenntnis zu bringen war. 
Das vierte Laterankonzil (1215) verfügte die Aufbietung 
der Brautleute in der Kirche seitens des Pfarrers, damit 
dieser Umstand weiteste Verbreitung finde und bis zu einem 
bestimmten Termine allfällige Rechtsansprüche geltend ge- 
macht werden können. Diese Vorschrift wurde durch das Triden- 
tinische Konzil (1562) und durch das corpus juris evangelicorum 
ecclesiastici (1738) wiederholt. Die Kanzel wurde aber auch 
später ständig zur Ankündigung weltlicher Vorschriften 
benützt. So besagt die Verordnung des Nürnberger Stadtrates 
vom 28. November 1736, welche die Sanitätsvorschriften gegen 
die Pest enthält, daß diese Verordnung allenthalben auf den 
Kanzeln öffentlich zu verrufen sei. 
Über die Verwendung der Kanzel für geschäftliche 
Reklame gibt ein aus dem Jahre 1622 stammendes und in 
Bayer. Staatsbibliothek befindliches Flugblatt Aufschluß, in 
welchem dem Augenarzte Balthasar Grose das Recht gegeben 
wird, seine Kunst durch die Pfarrherren dem gemeinem Manne 
zu verkünden und ihnen mitzuteilen, wo der Wunderarzt zu 
finden wäre. 
Das Wiener Diarium vom 7. August 1720 berichtet, daß 
ein Bauer ein Paket, das er abzuliefern gehabt hätte, nicht 
ablieferte; der Geschädigte ließ zur Eruierung des Täters 
die Veruntreuung auch auf verschiedenen Kanzeln vermelden. 
Über seine Zirkuspropaganda im Jahre 1876 und 
über ihre Förderung durch die Geistlichen von der Kanzel 
herab berichtet Phineas Taylor Barnum, daß er entgegen 
seinem sonstigen Standpunkte der prinzipiellen Verweigerung 
der Freikarten an Geistliche solche im freigebigsten Ausmaße 
verteilte. Bezeichnend ist folgende Stelle in seiner‘ selbst. 
verfaßten Biographie: 
„Die Geistlichen zeigten sich meist außerordentlich dankbar für 
die erwiesene Freundlichkeit (Freikarten), und viele von ihnen be- 
zeichneten von der Kanzel herab Ausstellungen und Vorführungen 
Barnums als durchaus moralisch und lehrreich. Ich gestehe, daß ich 
auf die Mitwirkung der Prediger angewiesen war, insbesondere draußen
	        
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