AUFGABEN UND ENTWICKLUNG DER ÖSTERREICHISCHEN
NATIONALBANK IN DEN JAHREN 1023 BIS 1028
Von Universitätsprofessor Dr. Richard Reisch, Präsident der Österreichischen Nationalbank.
Die Republik Österreich hat bei ihrer Gründung
ein böses Wiegengeschenk in der Gestalt einer
erschütterten Währung vorgefunden: Die Krone
notierte am 28. Oktober 1918 statt 105 Schweizer
Centimes nur ungefähr 45 Centimes. Dieses wohl
schon an sich unheilbare Disagio vergrößerte sich in
rasch steigernder Progression durch die folgenden
Ereignisse, als welche hervorzuheben wären: Die
gewalttätige Zerreißung der einheitlichen Währung,
die harten und zugleich sachlich völlig verfehlten
Bestimmungen des Friedensvertrages über die Liqui-
dierung der Österreichisch-ungarischen Bank, welche
beiden Momente zu starken Prägravierungen Öster-
teichs führten, endlich und hauptsächlichst die wirt-
schaftliche Erschöpfung und die unsichere politische
Lage des Landes, ja ganz Mitteleuropas, wodurch die
Ergreifung der zur Ordnung des Staatshaushaltes
notwendigen durchgreifenden legislativen und admini-
Strativen Maßnahmen unmöglich wurde. Die nähere
Darstellung dieser Entwicklung wird an anderer Stelle
dieses Werkes gegeben. Hier seien zur Schilderung
der Ausgangssituation für die Tätigkeit der Öster-
reichischen Nationalbank nur die valutarischen Vor-
gänge des Jahres 1922 tabellarisch zusammengefaßt.
Es betrug
, der Monatsdurchschnitt-Geldkurs in Wien
Im Monate für Devisen per Währungseinheit des
Dollar Pfund Schw. Franc:
7.646008 32.351'54 1.488°75
9.497°29 42.248:68 1.823'32
16.205°67 72.676°66 3.100°08
31.266'76 138.064 ‘70 5.960:79
55.619°62 2092.097°31 12.488°38
74.975'77 332.570°02 14-100°38
73.827°60 327.387°69 13.606'15
73.176002 327.3960°15 13.471°54
71.007530 2926.320°83 13.407:02
Die rapide Verschlechterung der Währung, durch
Welche ihr Wert vom Jänner bis September auf fast
ein Zehntel herabgedrückt worden war, drohte zu
einer völligen Zerrüttung der Wirtschaft und Lösung
aller staatlichen Ordnung zu führen: Die Sachbesitzer
und insbesondere die landwirtschaftlichen Kreise der
Bevölkerung waren nicht mehr geneigt, ihre Waren
gegen österreichische Kronen zu tauschen, man mußte
in immer weiterem Umfange zum Naturaltausch zurück-
kehren, der jedoch nur wenigen Schichten der Be-
‚ölkerung möglich war; während für.den Rest der-
‚selben die Gefahr drohte, von der Möglichkeit der
?rwerbung selbst der notwendigsten Lebens- und
nterhaltsmittel überhaupt ausgeschlossen zu werden.
In dieser Zeit der höchsten Not gelang es Bundes-
<anzler Dr. Seipel, den Völkerbund davon zu über-
‚eugen, daß die Österreich drohende Gefahr auch
ne Gefahr für ganz Europa bedeute. Es kam zu
len Genfer Protokollen vom 4. Oktober 1922 (BGBl.
Nr. 842 ex 1922), welche ein umfassendes Sanierungs-
»rogramm für Österreich aufstellten. Im Mittelpunkt
lieses Programms stand die Schaffung einer neuen,
‚om Staate unabhängigen Notenbank, welche geord-
1ete Verhältnisse des Geldwesens herbeizuführen
jatte. Die Voraussetzung hiefür und sohin den Angel-
unkt des ganzen Sanierungsprogramms aber bildete
aine von neun Staaten garantierte österreichische Aus-
'andsanleihe in der zur Erreichung eines Nettoerlöses
von maximal 650 Millionen Goldkronen erforder-
lichen Höhe, die zur Konvertierung der von einzelnen
Staaten bereits gewährten Notstandsdarlehen und zur
Deckung des Budgetdefizites der Jahre 1923 und 1924
jestimmt war, während welcher Jahre durch eine
zründliche Reorganisation der Verwaltung die not-
wendigen Ersparungen durchgeführt und die erforder-
lichen Finnahmensteigerungen erzielt werden sollten.
Durch die Gewährung dieser Anleihe wurde der
österreichische Finanzminister insbesondere in die
Lage versetzt, auf die Dienste der Notenpresse zu
verzichten, was mit Recht als erste Voraussetzung
eder Sanierung und namentlich auch der für jede
Sanierung unentbehrlichen Wiederherstellung der
Ordnung in den Währungsverhältnissen angesehen
wurde.
Noch vor der Begebung der Völkerbundanleihe
befestigte und verbesserte sich, wie vorstehende Über-
icht zeigt, die österreichische Krone ein schlagender
3eweis dafür, welch großen Einfluß die psychologischen
Taktoren im Geld- und Kreditwesen ausüben: Schon
lie Nachricht über die Absicht des Völkerbundes,