Full text: Rationalisierung als Kulturfaktor

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B. Betrachtungen 
serer Zeit. Die Peripetie, die wir hierbei durchschritten haben, ist eine 
vollkommene: das Rationale erscheint zum Irrationalen sublimiert, das 
Mechanische vom Organischen beseelt, das Einzelne ins Allgemeine 
aufgelsöst und wiederum das Allgemeine vom Einzelnen in lebendiger 
Wechselwirkung befruchtet. Die Einheit des Weltbildes ist hergestellt. 
So stehen wir nun vor einer neuen Subjekt⸗Objekt⸗Bezogenheit, 
die wir durch Arbeitsteilung und Mechanisierung einstmals zerstoͤrt 
erfanden. Wir sehen Entsprechungen der Persoͤnlichkeit zur versach⸗ 
lichten Kultur allenthalben entstehen. In der Baukunst zeigen sie sich 
als Entsprechungen der sachlich⸗konstruktiven Forderungen und der 
Forderungen, die sich aus der Natur unserer Wahrnehmungsorgane 
ergeben, in der expressionistischen Malerei als der Wille, den extremen 
Individualismus einmünden zu lassen in primitive Form von all⸗ 
gemeiner Gültigkeit, in der Bildhauerei als die Absicht, mehr und mehr 
zur Darstellung typischer Gestalten überzugehen. Auch in der Dich⸗ 
tung und im Drama verdraͤngt die Darstellung des Allgemeinen und 
Allgemeingültigen die Wiedergabe des Einzelnen und Vereinzelten. Ja 
sogar in der eigenwilligsten aller Künste, in der Musik, herrscht bei aller 
Feindschaft gegen das Schema der Wille zum Gesetz: „Die Absichtlichkeit 
im Umgehen der Gesetze kann nicht Schaffenskraft vortäuschen, noch 
weniger erzeugen. Der echte Schaffende erstrebt im Grunde nur die 
Vollendung. Und indem er diese mit seiner Individnalität im Ein⸗ 
klang bringt, entsteht absichtslos ein neues Gesetz“ (Busoni). 
In ihrer Sehnsucht nach dem Überpersönlichen sucht die Kunst 
unserer Zeit die Brücke zu schlagen zwischen Zweck und Form, zwischen 
Naturalismus und Stil, zwischen Einfühlung und Abstraktion. Hart 
und umrißlos erscheint sie uns vorerst noch. Es fehlt ihr die organische 
Haltung der früheren Epoche. Aber eine andere Form beginnt in 
ihr wirksam zu werden, in der Freiheit und Verantwortlichkeit sich 
zu vereinigen streben. Überall drängt es nach solcher Gestalt, nach einer 
Vermaͤhlung der beiden tragenden Krafte des Lebens, von Seele 
und Geist.
	        
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