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Man stelle sich vor, welche Forderung damit an den Bund gestellt wird,
der verantwortlich ist für den Gang und Stand der öffentlichen Versicherung,
für eine einfache und übersichtliche Organisation, für eine sparsame Verwaltung
und die Sicherung der Erfüllung der Versicherungsansprüche.
Die Durchführung der Alters- und Hinterlassenenversicherung ist schon
an und für sich ungewöhnlich schwierig. Wer sie unternehmen und erfolgreich
durchführen will, darf nicht an vorgefasste Organisationsvorschriften gebunden
werden. Solche aufstellen und fordern, dass danach das Werk unternommen
und ausgeführt werde, kehrt das natürliche Verhältnis um und opfert den
Zweck den Mitteln. - x N
Muss man von den privaten Kassen absehen, so lässt sich fragen, ob nicht
gleichzeitig mit der Organisation der Alters- und Hinterlassenenversicherung
öffentlich-rechtliche Korporationen errichtet werden könnten, denen die Ver-
sicherung zu überbinden wäre, Man denke an die Bildung von Berufsgenossen-
schaften.
Wenn man darüber befinden soll, wird man wissen müssen, ob die Alters-
und Hinterlassenenversicherung eine allgemeine obligatorische Volksversiche-
rung oder eine Klassenversicherung werden soll. Ist jenes der Fall, so ist nicht
einzusehen, warum die damit ermöglichte und anzustrebende Vereinfachung
der Organisation wieder preisgegeben werden soll durch eine Trennung des
Versicherungsbestandes nach Klassen. Dazu kommt die Schwierigkeit, was
mit dem Versicherungsbestand vorzukehren ist. der nicht nach Berufsmerkmalen
aufgeteilt werden kann.
Weiter erheben sich in der Hauptsache alle die Schwierigkeiten, die bereits
bei der Beteiligung der privaten konzessionierten Gesellschaften zur Sprache
gekommen sind.
Sieht man von der allgemeinen obligatorischen Volksversicherung ab und
geht zur Klassenversicherung über, so steht man hinsichtlich der Bildung von
Berufsgenossenschaften vor derselben Frage, die seinerzeit bei der Einführung
der Unfallversicherung mit der Errichtung der schweizerischen Unfallversiche-
rungsanstalt in Luzern in einer bestimmten Weise beantwortet wurde. Meines
Erachtens hinsichtlich des Verzichtes auf Berufsgenossenschaften mit Recht.
Wenn ich soeben gesagt habe, es handle sich um dieselbe Frage, so muss ich
eine bestimmte Einschränkung vornehmen. Unfallversicherung einerseits,
Alters- und Hinterlassenenversicherung anderseits sind sehr verschiedene
Dinge, und was bei der einen durchführbar gewesen wäre, bietet bei der andern
grosse Schwierigkeiten. Sie sind nicht unüberwindlich; ihre Bewältigung führt
aber, wie naheliegende Beispiele zeigen, zu recht komplizierten und schwer-
fälligen Organisationen. Sich einlässlich damit zu beschäftigen, ist jetzt, da
nicht die Klassenversicherung, sondern die obligatorische Volksversicherung
im Vordergrund steht, nicht an der Zeit.
Zürich, am 11. August 1928.
+ Schaertlin.