Full text: Fünfundzwanzig Jahre internationale Gewerkschaftsbewegung

Oudegeest, damals Vorsitzender der holländischen Gewerk- 
schaftszentrale, schreibt am 30. September 1914 an Legien: 
„Leider sind jetzt die internationalen Verbindungen zer- 
stört, und wir fürchten, daß der Krieg den gegenseitigen Haß 
auch zwischen den Arbeitern der verschiedenen Länder an- 
jeuern wird. 
Schon haben wir Briefe erhalten von der Nationalen 
Transportarbeiter-Föderation in England, in denen beantragt 
wird, den Sitz der Internationalen Föderation von Berlin nach 
London zu bringen. Wir brauchen wohl nicht besonders zu 
betonen, daß die holländischen Organisationen damit garnicht 
einverstanden sind. Wohl aber sind wir der Meinung, daß es 
notwendig sein wird, die internationalen Sekretariate vorläufig 
in ein neutrales Land zu verlegen. Wir erachten dies als 
einziges Mittel zur Aufrechterhaltung unserer Internationale.“ 
Hierzu nahm Legien in einem Briefe vom 7. Oktober an 
Oudegeest folgendermaßen Stellung: 
„Über Deinen Vorschlag, die Sitze der Internationalen 
Vereinigungen nach einem neutralen Lande zu verlegen, habe 
ich mit meinen Kollegen in der Generalkommission des näheren 
Rücksprache genommen. Wir sind einstimmig zu der Über- 
zeugung gekommen, daß eine solche Sitzverlegung ohne prak- 
tische Bedeutung sein würde. 
Irgendwelche praktische Tätigkeit können die internatio- 
nalen Sekretariate zurzeit nicht ausüben. Es kann sich höch- 
stens darum handeln, die internationale Verbindung nicht ganz 
eingehen zu lassen und durch gegenseitige freundschaitliche 
Berichterstattung aufrecht zu erhalten. Dies kann unseres Er- 
achtens genau so, wie es bisher geschehen ist, auch während 
der Kriegszeit von Deutschland aus erfolgen, soweit inter- 
nationale Sekretariate hier ihren Sitz haben. 
Nach allem, was aus Deutschland in dieser Weise be- 
richtet worden ist, sowie nach dem Verhalten unserer Arbeiter- 
presse, die jetzt regelmäßig in das neutrale Ausland kommt, 
dürfte sich unverkennbar ergeben, daß unsere organisierte 
Arbeiterschaft in Deutschland weit von chauvinistischen An- 
wandlungen entfernt ist. Wir nehmen das Unglück des Krieges 
als etwas Unabwendbares hin und müssen selbstverständlich, 
wie die Dinge einmal liegen, auch alles daran setzen, daß er 
zu einem für Deutschland günstigen Ende geführt wird. Dabei 
fühlen wir uns frei von Haß oder Verachtung gegenüber unsern 
Arbeitsgenossen auch in den Ländern, die sich mit Deutsch- 
land im Kriegszustand befinden. Unter diesen Umständen glau- 
ben wir auch der Internationale völlig gerecht werden zu 
können, sodaß eine Verlegung der Sekretariate nicht erforder- 
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