Erster Teil.
Ausdruck, gegen welchen sich sehr viele Einwendungen
machen ließen. So ist z. B. in der Schweiz im ersten Jahr-
zehnt unseres Jahrhunderts diese Zahl ziemlich konstant. Statt
zu variieren und den Launen des Zufalls zu folgen, gibt es
also einen scheinbar durch irgendein geheimes Gesetz „organi-
sierten Zufall“ ?®. Daß bei Annahme der Richtigkeit eines solchen
die hinter der Moralstatistik stehende Phänomenologie diese
erstere ihres moralisch - unmoralischen Unterscheidungsver-
mögens völlig entkleidet und auf die reine Ananke gestellt wird,
ist klar. \
Anhänger der materialistischen Geschichtsauffassung wären
versucht, die Konstanz des Zufalls einseitig durch ‚die Kon-
stanz der Wirtschaftsordnung zu erklären. Solange die gleichen
(ökonomischen) Ursachen vorhanden seien, müßten sich daraus
auch die gleichen (statistischen) Wirkungen ergeben. Die Kon-
stanz der statistischen Daten wäre somit nichts anderes als
eine Konstanz der bürgerlichen Ordnung und müßte mit dieser
selbst schwinden. Aus unserer Arbeit dürfte indessen die innere
Unmöglichkeit einer rein ökonomistischen Erklärung der
Erotik hervorgehen.
Wohl spiegeln sich wirtschaftliche, soziale und gesetzgebe-
rische Änderungen im Bevölkerungsbestande in der Moral-
statistik wider. Doch erscheinen die Schwankungen immerhin
nicht groß genug, um die Queteletsche Anschauung von der
immanenten statistischen Gesetzmäßigkeit, wenn diese freilich
auch nicht eine naturwissenschaftliche genannt werden darf,
Lügen zu strafen. Denn der mannigfache, individuellen und
gesellschaftlichen Einflüssen offene und aus deren Wirkungen
zusammengesetzte Ursachenkomplex, welcher zu den beobachte-
ten Einzelerscheinungen geführt hat, verharrt immerhin zeit-
9 Liefman Hersch, Hasard et rögularite constante dans les Ph&nomöenes
Sociaux. Les Sciences Economiques et Sociales & ]’Universit& de Genöve.
Geneve 1916, Georg, p. 1164£.