100 * Die Sabotage der Reparationszahlung durch den Mechanismus der Weltwirtschaft.
klingen (der nächste Bericht war das aufsehenerregende Memorandum des General-
agenten vom 20. 10. 27). In eine Debatte über diesen Komplex der deutschen Wirt-
schaftspolitik. einzutreten, ist nicht unsere Aufgabe, die Ausführungen mußten nur
der Vollständigkeit halber wiedergegeben werden, Die Zuschrift fährt dann fort:
„Zum Schluß fasse ich meine Gedanken‘ dahin zusammen: würde die Regierung
erklären, eine Verkürzung der Arbeitszeit, Einführung weiterer sozialer Wohltaten,
Erhöhung der Löhne und Gehälter sind zunächst nicht möglich, weil sie die Ent-
schädigungsfähigkeit beschränken, so würde die Gefahr einer starken Erweiterung
des deutschen Erzeugungsapparats die Gegenseite bestimmen müssen, eine Änderung
des Dawesschen Plans anzustreben. Die Anregung einer Änderung darf
nicht von deutscher Seite erfolgen, da sonst von vornherein eine un-
mögliche, aussichtslose ‚Position für Deutschland für die Verhandlungen ge-
schaffen. wird.
Ich schätze die jetzige Lage ähnlich ein wie im Kriege, wo die Regierung von
Anfang an. nicht die Stärke hatte, die tatsächliche Lage offenzulegen. Nur eine
klare, einfache, ehrliche Politik kann das Volk einigen und die Kräfte zusammen-
lassen, um ein günstiges Ende zu erreichen.“
Wie wir gesehen haben, bewirkt bereits die Zwangssparkasse des Reparationse
agenten eine starke Erweiterung des deutschen Erzeugungsapparates. Die Aus-
weitung würde. selbstredend — darin muß man dem Verfasser zustimmen — Noch
größer sein, wenn sich unsere Sozialpolitik nicht so weit vorwagte, worüber hier
nicht zu debattieren ist.
Hier soll lediglich, aber stark: betont, der — sagen wir — händlerisch-takti-
schen Einstellung widersprochen werden, daß eine Anregung nicht von deutscher
Seite erfolgen. dürfe. Das ist an sich ein gesunder Grundsatz, aber hier ist ‚er nicht
am Platze. Die relativen Zusammenhänge des Weltproblems der Reparation sind
so schwierig und so unbekannt bzw. falsch bekannt, daß es einer ungeheuer nach-
haltigen,. immer wiederholten Belehrung des In- und Auslandes bedarf, damit es
zu einer Aufhebung der Reparation. von diesen Gesichtspunkten aus kommen kann,
Geschieht das nicht, sondern verfolgt man die Taktik, zu warten, bis starke Wir-
kungen entstehen, so wird man nichts anderes erleben, als wir es in der Zwangs-
wirtschaft und Inflationspolitik seit 1914 kennen gelernt haben: es wird, wie man
zwar sehr unschön, aber drastisch zu sagen pflegt, „fortgewurstelt‘“, Die auf-
iretenden. Wirkungen sieht man mit privatwirtschaftlichen Augen an, stellt da-
durch eine‘ falsche Diagnose und korrigiert mit untauglichen Mitteln1!), welche
wieder Wirkungen entstehen lassen usf. Der Reinigungsprozeß wird dadurch so un-
geheuerlich verlängert, daß der Vorteil aus dem Prinzip der taktischen Zurückhaltung
nichts dagegen wiegt. ;
Dazu kommt, daß es einer solchen taktisch-unterhändlerischen Zurückhaltung
gar nicht bedarf, denn die Tatsächlichkeiten der weltwirtschaftlichen Sinnwidrig-
keit der Reparationen sind so stark, so eindeutig zu ungunsten unserer Gegenpartei,
daß sie für sich selbst sprechen. Wir brauchen gewissermaßen nur, wie jener Feld-
herr Brennus ?} sein Schwert auf die Goldwage warf. nicht unsere, sondern die welt-
1) Hierher kann man z, B. die Prüfungsstelle für Auslandsanleihen rechnen; siehe hierzu
anseren Vorschlag weiter unten über die Zinshöhe.
2) Heerführer der senonischen Gallier, welcher 890 v. Chr. Rom nach Ermordung der sich
preisgebenden Senatoren verbrannte, das Kapitol aber vergeblich belagerte und nur gegen
einen Preis an so viel Gold, als sein Schwert wiege, abziehen wollte. Wie man sieht, hat sich
lie Vorstellung über die Größe von Tributen gewandelt, nicht aber die primitive Vorstellung
jes Wegschleppens von Werten.