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Nachbarschaft und neue Bewertung
Das jungdeutsche Manifest fordert die Beseitigung von Unter⸗
tanentum und Masse. Es fordert die Begründung eines Staats-
hürgertums, in welchem Gleichheit und Brüderlichkeit zur neuen
nationalen Bindung von Mensch zu Mensch werden. Der grundsützliche
Weg zur Verwirklichung dieser Forderung geht über die Gemein⸗
schaft. Die Gemeinschaft, in der der Volksstaat die Erziehung des
deutschen Menschen zum wahren Staatsbürgertum vollzieht, ist die
Nachbarschaft. Der senkrechte Schnitt durch das Volkstum, welcher
zur Bildung der Nachbarschaft führt, fügt gleichverantwortliche Staats⸗
hürger aller Schichten zueinander. Die staatsbürgerliche Laufbahn,
d. h. der Aufstieg des einzelnen Staatsbürgers zu höheren und
hohen Amtern im Staate selbst, beginnt in der Nachbarschaft. Der
Ursprung des Aufstieges liegt in der politischen Leistung des Ein—
zelnen.
Auf Grund des Gemeinschaftsgedankens der Nach—
barschaft ist die Anerkennung dieser Leistung durch die
staatsbürgerliche Gemeinschaft unzertrennlich mit der
Achtung verbunden, welche sich der Einzelne unter
seinen Mitbürgern erwirbt.
Es ist aber eine feststehende Tatsache, daß nur derjenige in der
Gemeinschaft Achtung erwerben kann, der auch den anderen mit
Achtung entgegentritt. So wird zur Vorbedingung seines Aufstieges
sein Bekenntnis zur Brüderlichkeit und seine Ablehnung der Selbst⸗
sucht und des Dünkels des Standes und der Kaste. Wer dieser
Brundforderung für eine Geltung innerhalb der Gemeinschaft nicht
nachkommt, dem bleibt die staatsbürgerliche Laufbahn verschlossen,
weil er das Vertrauen der Gemeinschaft nicht erringen kann.
In dieser tatsächlichen Folgeerscheinung der orga—
nisatorischen Strukturbegriffe des Volksstaates liegit
die Brechung des Standesmenschentums und die Be—⸗
gründung einer neuen Bewertung des Menschen nach
dem Gesetz brüderlicher Achtung.
Die Folge einer solchen Lebensordnung im deutschen Staats-
zürgertum ist die Geburt neuer sozialer Formen, welche das Gesicht
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