Full text: Das Jungdeutsche Manifest

Die Entscheidung dieses Einzelführers kann nur dann segensreich 
jür den Staat sein, wenn er über eine ganz besondere Menschen⸗ 
tenntnis verfügt. Dementsprechend kann der Führer oder Vorgesetzte, 
welcher über diese Gabe nicht verfügt, großen Schaden für das 
Volksganze anrichten. Bei der fast unumschränkten Macht des Vor⸗ 
gesetzten im System der Beamtenführerschaft bildet sich sehr leicht 
eine gesellschaftliche Glattheit und Liebedienerei unter den Anwärtern 
auf die zu vergebenden Führerposten heraus. Diese Eigenschaften 
haben etwas außerordentlich Bestechendes für jeden Menschen, um so 
eher, wenn er durch seine Stellung zur Zurückgezogenheit ge⸗ 
zwungen ist. 
Die gesellschaftliche Gewandtheit spielt leicht eine 
größere Rolle als es dem Staat nützlich ist. Es liegt die 
8 ef ahr vor, daß ein solcher Staat in der kastenmäßigen 
Verfeinerung seiner Beamtenführerschaft die Vorbe— 
dingungen der Formengewandtheit über die der Lei— 
stungsfähigkeit stellt. Eine. solche Entwicklung ist eine 
Dekadenzerscheinung, welche sich erfahrungsgemäß 
zurchtbar rächt. 
Ein ähnliches Übel ist die Vetternwirtschaft. Selbst der gerechteste 
Borgesetzte kommt in die Gefahr, verwandtschaftlich oder bekannt⸗ 
schaftlich Nahestehende günstiger zu beurteilen. Das System der 
Beamtenführerschaft führt leicht dazu, daß sich eine Kaste der obersten 
Stellen bemächtigt und dann die weitere Auswahl nachgeordneter 
Führer mehr vom Standpunkt der Kaste als vom Standbpunkt des 
Volkes vollzieht. 
Die Vetternwirtschaft ist der erste Schritt zur Ver— 
rottung einer Führerschaft. 
Im alten Staate spielte sie unter der Bezeichnung Konnexion 
eine besondere Rolle. Wer die beste Verbindung mit der führenden 
Kaste hatte, der hatte auch die besten Möglichkeiten, in der Führer⸗ 
schaft des Staates zu steigen. Im gegenwärtigen Staate ist der 
Better der Parteifreund. Mit der Vetternwirtschaft bindet sich ein 
Staat an das Schicksal einer führenden Kaste oder Clique. Er mindert 
die Bedeutung der Leistung in der Laufbahn der Fuührerschaft. Er 
duldet damit staatspolitische Wirkungen privater Interessen. 
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