Full text: Gesellschaftslehre

Zweites Kapitel. 
Die Abstufungen der Gesellschaft 
(Gemeinschaft und ..Gesellschaft“). 
Vorbemerkungen über den Grundgedanken des Kapitels. 
Die Tatsache der Gesellschaft haben wir im ersten Kapitel auf ihre inhaltlichen 
sinzelnen Ausprägungen hin verfolgt. In diesem Kapitel betrachten wir die verschie- 
Jene Intensität, in der die Gesellschaft mit ihren verschiedenen Phänomenen auf- 
treten kann. Wir unterscheiden in der Hauptsache zwei Formen, nämlich starke 
und schwache Ausprägung, oder anders ausgedrückt Gemeinschafts- und gemeinschafts- 
nahe Verhältnisse einerseits, gemeinschaftsferne Verhältnisse anderseits. Praktisch be- 
sonders wichtig sind die beiden Typen der Gemeinschaft und der „Gesellschaft“ (im 
Sinne von Tönnies) als einer besonderen Form der gemeinschaftsfernen Verhältnisse. 
Die das Wesen des Sozialverhältnisses ausmachende innere Verbundenheit besteht in 
der „Gesellschaft“ in der gemeinsamen Anerkennung eines Sinnes und einer für seine 
Erhaltung und Pflege erforderlichen Ordnung geistiger oder sozialer Art, während die 
persönlich-seelische Verbundenheit so gut wie ganz fehlt. Die Verbundenheit durch 
den Sinn fehlt auch in der Gemeinschaft nicht, vielmehr bestehen bei ihr zwei Arten 
von Verbundenheit miteinander verschlungen: die seelische und die geistige Verbun- 
denheit. In der Gruppe (mit ihrem Gemeinschaftscharakter) bestehen zwei Bin de- 
mittel: die Gemeinschaftsgesinnung als Liebe, Hingabe und Hilfsbereitschaft und 
die Anerkennung einer festen Ordnung besonders in Gestalt der Lebensordnung der 
Gruppe. Bei jeder Organisation, jedem Streit und Gegensaß der Interessen tritt dieser 
Ordnungswille in Aktion. Beide Bindemittel sind gleich wichtig und unentbehrlich für 
das Leben der Gruppe. Das Merkwürdige ist nun, daß das eine von ihnen auch einer 
isolierten Existenz fähig ist, d. h. für sich allein die Grundlage eines Zusam- 
menlebens abgeben kann, nämlich der Ordnungswille. Dieser bildet die Grundlage für 
die reinen Rechtsverhältnisse und auch für die geregelten Macht- und Kampfverhält- 
nisse. Daß Menschen, die sich „nichts angehen“, in geordneter Weise gesellschaftliche 
Beziehungen zueinander haben können, daß also neben der vollen Sozialform der Ge- 
meinschaft eine Art von blassem Widerschein ihrer zu existieren vermag, erscheint fast 
als etwas Wunderbares, Teleologisch betrachtet bedeutet es, daß die Möglichkeit des 
Zusammenlebens weit über den Kreis der Gemeinschaft ausgedehnt werden kann. ; 
18. Das Wesen der Gemeinschaft. 
Inhalt: Die Gemeinschaft ist die engste Form des Soziallebens. Sie ist gekenn- 
zeichnet durch die Erweiterung des Ichbewußtseins über die Grenzen der eigenen Per- 
son hinaus. Sie bedeutet stets ein Dauerverhältnis. Ein Erlebnis als solches kann keine 
Grundlage für die Entstehung einer Gemeinschaft abgeben; sondern es muß eine 
gewisse innere Nähe der Personen hinzukommen. über deren Eintreten oder Aus-
	        
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