Full text: Grundzüge der Theorie der Statistik

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liche Ordnung erkannte, so will Quetelet aus seiner naturwissen- 
schaftlichen Vorbildung heraus überall physische Gesetze erkennen. 
Er liebt es überhaupt, seine Bilder und Gleichnisse den Naturwissen- 
schaften zu entlehnen. Er spricht von einer Physik der Gesell- 
schaft, von perturbierenden Einflüssen, von einem Schwer- 
punkte der Gesellschaft, um welchen deren Elemente oszillieren. 
Solange diese Gleichnisse nur als beredte Darstellungsform aufzufassen 
sind, ist nichts dagegen einzuwenden; es geht aber Quetelet, wie so 
vielen anderen in der Geschichte der Sozialwissenschaften, er wird 
von seinen Vergleichen gefesselt und legt zu viel in sie hinein. Wenn 
z3r „Sur ’homme“ mit den Worten beginnt: „Die Geburt, die Ent- 
wicklung und der Tod des Menschen erfolgen nach gewissen Ge- 
setzen“, dann denkt er sich diese Gesetze als wirkliche Naturgesetze, 
die nur eines Newton harren, um enthüllt zu werden. Durch 
perturbierende (zufällige) Einflüsse sollen Veränderungen in den Wir- 
kungen der natürlichen Ursachen bewirkt werden, z. B. eine Ver- 
längerung der mittleren Lebensdauer infolge von Verbesserungen der 
Wohnungs- und Wohlstandsverhältnisse, aber diese Perturbationen 
sollen bei einer ersten Untersuchung ganz außer Betracht bleiben 
können. Die Wahrheit dürfte dagegen die sein, daß „das Gesetz der 
großen Zahlen“ sich sozusagen in lauter perturbierende Ursachen auf- 
löst, wodurch man auf immer neue Teilungen des Materials hin- 
gedrängt wird. Die ungeheure Abnahme der Geburtenhäufigkeit in 
vielen Ländern und die Verlängerung der mittleren Lebensdauer in 
unseren Tagen sind hierfür beredte Zeugnisse. 
Nicht nur will Quetelet die statistischen Gesetze auf die ein- 
zelnen Gruppen der Menschen anwenden, sondern er betrachtet auch 
das Volk als Individuum innerhalb der ganzen Menschheit und 
sucht dann Gesetze zu finden, nach welchen die Völker sich ent- 
wickeln, leben und absterben; um die mittlere Lebensdauer der Staaten 
zu berechnen, vergleicht er übrigens ganz heterogene Tatsachen und 
scheut sich nicht, rein mythische Ereignisse zur Bestimmung der 
diesbezüglichen Zahlen heranzuziehen. N 
Die naturalistische Auffassung Quetelets erklärt mehrere Äuße- 
rungen über die Kriminalstatistik: „Es gibt ein Budget, das mit 
einer schauerlichen Regelmäßigkeit bezahlt wird, nämlich das der 
Gefängnisse, der Galeeren und Schaffotte.“ „Es gibt eine Abgabe, 
die der Mensch regelmäßiger bezahlt als diejenige, welche er der 
Natur oder dem Staatsgesetze entrichtet, es ist diejenige, die er dem 
Verbrechen zollt.“ Es sei die Gesellschaft, welche die Keime aller
	        
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