Full text: Grundzüge der Theorie der Statistik

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Verbrechen berge; „sie ist es gewissermaßen, die diese Verbrechen 
vorbereitet, und der Schuldige nichts als das Werkzeug, das sie voll- 
führt.“ Daher solle man die Menschen bessern „durch Verbesserung 
der gesellschaftlichen Einrichtungen, der Sitten und Gebräuche, durch 
bessere Aufklärung“ usw.!) Oben ist auf die Übereinstimmung 
zwischen diesen Bemerkungen des Naturalisten Quetelet und des 
Theologen Süßmilch hingewiesen worden 2). 
Wie bemerkt, will Quetelet den Schwerpunkt der Gesellschaft 
bestimmen, was die Hauptaufgabe der sozialen Physik sein solle. 
Dieser Schwerpunkt ist der berühmte „Durchschnittsmensch“ 
(’homme moyen), ein fingiertes Wesen, bei dem alle Vorgänge den 
für die ganze Gesellschaft anzunehmenden mittleren Ergebnissen ent- 
sprechen. Solange dieses fingierte Wesen nur als Rechnungseinheit 
zu betrachten ist, ist dies mit den Grundsätzen der Statistik wohl 
vereinbar, da sich die Statistik ja beständig mit Durchschnitten be- 
schäftigt; aber Quetelet läßt sich ständig dazu verleiten, den Durch- 
schnittsmenschen mit Fleisch und Blut auszustatten. So kann ‚er 
nicht umhin, in unlösliche Widersprüche zu geraten. Gesetzt z. B. 
den Fall, daß man bei einer Reihe von Menschen am Körper drei 
Linien gemessen hat, die ein rechtwinkliges Dreieck bilden, und 
daß man nun das entsprechende Dreieck beim Durchschnittsmenschen 
zu bestimmen wünsche, so wird sich in der Regel zeigen, daß diese 
drei Durchschnitte kein rechtwinkliges Dreieck ergeben. Wenn 
diese Größen bei den beobachteten Menschen proportional sind, was 
im allgemeinen nicht der Fall ist, dann wird ein rechtwinkliges 
Dreieck entstehen, sonst in der Regel nicht. Eine wirkliche Be- 
deutung für die Physiologie wie für die Kunst wird der Durchschnitts- 
mensch daher kaum erlangen; nur die einzelnen Durchschnittsgrößen, 
aber nicht die Verbindungen zwischen ihnen, können als typisch 
betrachtet werden. 
Dieser Durchschnittsmensch aber müsse nach Quetelet die ideale 
Schönheit besitzen, er müsse der Typus sein, nach welchem sozusagen 
die Natur alle Menschen mit wechselndem Glück gebildet habe; das 
Studium des Durchschnittsmenschen würde daher große Bedeutung 
für die Kunst haben. Ein Mensch z. B., dessen Arm nur um !/,o länger 
als gewöhnlich sei, würde jedermann als mißgestaltet erscheinen. 
Die Unhaltbarkeit dieser Theorie springt übrigens ins Auge, auch 
» Vgl. „Sur l’homme“, deutsch von Riecke, 1838, S. 6—7. 
Siehe auch Oettingen, Die Moralstatistik, 3. Ausg. 1882, S. 23.
	        
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