Full text: Grundzüge der Theorie der Statistik

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halten blieben, würde die Natur durch Mehrung der Knabengeburten 
das Gleichgewicht der Geschlechter wiederherstellen; und ent- 
sprechend würde die Natur beim Mangel an jungen Frauen aus- 
gleichend wirken. Es glückte Quetelet jedoch nicht, das entscheidende 
Wort zu sprechen, da er nicht die Kriterien der Wahrscheinlich- 
keitsrechnung anwendete; er bedauert nur im allgemeinen den ge- 
ringen Umfang des Materials. 
44. Quetelet interessierte sich sehr für die sogenannte Moral- 
statistik; dieser Ausdruck ist zuerst von A. M. Guerry in seinem 
Essai sur la statistique morale de la France, 1833, angewandt worden. 
Wie die politischen Arithmetiker des 18. Jahrhunderts hatte auch 
Quetelet die große Regelmäßigkeit auf diesem Gebiete vor Augen. 
Er behauptete sogar, daß Ereignisse, welche vom menschlichen Willen 
abhängig seien, regelmäßiger eintreffen würden als solche, die aus- 
schließlich physischen Ursachen zuzuschreiben seien. Der Weise 
werde in allen seinen Handlungen sehr wenig vom Durchschnitt 
abweichen; nur bei Menschen, die blind ihren Leidenschaften folgen, 
könnten unberechenbare Abweichungen vom Durchschnitt vor- 
kommen. Je mehr die menschliche Willensfreiheit herrsche, desto 
regelmäßiger müßten sich die Ereignisse gestalten und desto enger 
werde der Spielraum der zufälligen Ursachen. Quetelet hat jedoch 
nie untersucht, ob die moralstatistischen Beobachtungen diese Theorie 
bestätigen. Als er zum ersten Mal die Lehre vom Budget der Ge- 
fängnisse und Galeeren aufstellte, hatte er nur die Erfahrungen 
dreier Jahre zu Gebote, und als „Sur l’homme“ erschien, erstreckte 
sich sein — übrigens nicht einmal gleichartiges — Material nur 
über 6 Jahre. Wenn Quetelet mit Hilfe der Wahrscheinlichkeits- 
rechnung seine Theorien einer erfahrungsmäßigen Prüfung unter- 
worfen hätte, würde er selbst die Unrichtigkeit vieler seiner Be- 
hauptungen erkannt haben. 
Wie er eine tendance au mariage berechnen wollte, so hat 
er auch eine Theorie von einem Hang zum Verbrechen (pen- 
chant au crime) aufgestellt. Er sucht die Laufbahn des Verbrechers 
zu beschreiben. Der Hang zum Diebstahl solle sich in frühem Alter 
durch Diebstahl im Heime, später durch Diebstahl anderswo be- 
kunden, bis er, genährt durch den Drang des Verbrechers danach, 
seine Manneskraft zu erproben, in Gewalttätigkeit und Mord auf 
offener Straße ausartet, während die letzte Stufe der Verbrecher- 
laufbahn sich durch Hinterlist kennzeichne, welche gewissermaßen 
an die Stelle der physischen Kraft trete, indem der Verbrecher als
	        
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