Full text: Wirtschaftssymptome

eines „Zollfeierjahres“ Wirklichkeit wird oder ob die Idee „Pan- 
europa“ oder dergleichen mehr wird als ein wirkungsvoller 
Redestoff im Genfer Völkerbundpnalast, 
Reparationen und Reformen 
Für die auf die Dauer untragbare Vorbelastung der deutschen 
Wirtschaft durch die Reparationen bedeutet das Jahr 1929 einen 
weitern Markstein auf dem Wege zur Vernunft der Gläu- 
bigerländer. Die Verminderung der Lasten eines sogenannten 
Normaljahres (einschließlich des im Dawesschen Plan vorge- 
Sehenen Wohlstandsindexes) auf Grund der Pariser und 
Haager Konferenz um ungefähr 700 Mill. RM auf etwa 2 Mil- 
liarden RM (Youngscher Plan) ist sicher ein Fortschritt. Aber 
er genügt bei weitem noch nicht. Man muß jedoch Geduld 
haben, da Vernunft oder gesunder Menschenverstand sich trotz 
Flugzeug, Radio und Bildübertragung nur ganz langsam durch- 
setzen. Aber nicht nur bei den andern, sondern auch bei 
uns! Wie lange reden wir schon von Verwaltungs-, Steuer- 
und Finanzreform! Wie wenig ist bis jetzt geschehen! Der auf 
den Druck der öffentlichen Meinung in diesen Tagen endlich 
gemachte Versuch, wenigstens anzufangen, ist auf den heftig- 
sten Widerstand der Parteien und ihrer Führer gestoßen. Den 
sinen gehen die Regierungsvorschläge schon zu weit, den andern 
zenügen sie kaum als Anfang. Die Wirtschaft, d. h. das gesamte 
Wirtschaftsleben, hat durch die Verschleppung der Reformen 
aufs schärfste zu leiden. Eine neue Reinigungskrise, die aber 
weitgehend auch Schrumpfungsprozeß ist, fordert 
während der Zeit des Zögerns mehr Opfer als notwendig. Das 
mobile Kapital wandert zum Teil nach dem Ausland ab. 
Kapitalversorgung und Zinssätze 
Das zur Neige gehende Jahr hat wieder einmal in aller Deut- 
lichkeit gezeigt, wie sehr die gesamte Wirtschaft vom Kapital 
Abhängig ist. Eines der wichtigsten wirtschaftlichen 
Merkmale des Jahres 1929 ist die Tatsache, daß Deutschland 
in der Kapitalversorgung weit mehr als in den vorhergehenden 
Jahren auf sich selbst gestellt war, eine Erscheinung, die 
Hand in Hand ging mit einer Kapitalverknappung so- 
wohl in Europa als auch in Amerika. Falsch wäre es, diese 
Verknappung allein auf die Ueberspekulation an der Neuyorker 
kurse zurückzufuuren. Die günstige amerikanische Wirtschafts- 
konjunktur hat sehr erhebliche Geldmittel gebunden. Daß diese 
Vorränge in den Vereinigten Staaten, den Hauptgeldgebern, 
auch auf die Anleiegewährung an Deutschland, für das die zum
	        
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