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der $. Punkt aber ist derjenige, der hier allein in Frage kommt:
er betrifft dasjenige Erkenntnisproblem, mit dem wir es hier zu tun
haben. Und unsere Aufgabe ist nun — scharf umrissen — die: fest-
zustellen, ob es eine Erkenntnisart gibt, die die Einsicht in letzte
Werte vermittelt, Daß diese weder das Erfahrungswissen noch das
Evidenzwissen, die beide zusammen, wie wir hier schon feststellen
wollen, diejenige Erkenntnisart ausmachen, die wir die wissen-
schaftliche nennen, sein kann, glaube ich nachgewiesen zu haben.
Aber es gibt neben der wissenschaftlichen Erkenntnis noch andere
Erkenntnisweisen, und eine unter diesen ist vielleicht diejenige, die wir
suchen.
Wir wissen jetzt wieder, dank nicht zuletzt der Lebensarbeit Max
Schelers, daß das Erkennen viele „Regionen“ hat, daß jede Art des
Lebens zugleich Erkenntnis einer seiner Eigenart entsprechenden
Wahrheitsregion ist. Neben dem Verstandeserkennen müssen wir ein
Gefühls- und. Willenserkennen gelten lassen. Wir müssen einsehen,
daß der Zugang zum Sein ebenso durch die ästhetische, soziale, re-
ligiöse Funktion unserer Seele möglich ist wie durch die logische.
Unter diesen zahlreichen Funktionen ist nun eine die philosophische.
Und die ihr entsprechende Erkenntnisart ist die Metaphysik.
Freilich müssen wir den Begriff der Metaphysik anders fassen als
es die heutige Logik tut. Heute ist die Metaphysik in den Eisregionen
des „wissenschaftlichen‘“ Denkens eingefroren, und sie muß gleich-
sam wieder aufgetaut werden, indem wir sie aus dieser FKiswüste
entfernen und in wärmere Zonen überführen.
Den äußersten Grad der Starre und Blutleere erreicht die Meta-
physik in der Auffassung der Positivisten, wie sie bei uns etwa Wil-
helm Wundt vertrat, der der Metaphysik den Beruf zuwies: „die
durch die Einzelwissenschaften vermittelten Erkenntnisse zu einem
widerspruchslosen System zu vereinigen‘“s.
Aus dieser Totenstarre erweckten diese Erkenntnisart schon die-
jenigen Denker, wie Sigwart und Heinrich Maier, die ihr als
Aufgabe doch wenigstens stellten „die transzendental-genetische Er-
klärung der kategorischen und systematischen Wirklichkeitsformen“‘,
50 W. Wundt, Einleitung in die Philosophie. S. 19.