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13. Jahrhundert bemerkbar, in diesem für die Entwicklung des euro-
päischen Geistes in vieler Hinsicht entscheidenden und in gewissem
Sinne ersten „modernen“ Jahrhundert. Von dieser Zeit an beginnt
die Umgestaltung der Lebensformen, teils als Wirkung, teils
wieder als Ursache des kritischen, weltlichen Geistes.
Die Umgestaltung betrifft zunächst die Beziehungen zu fremden
Völkern: diese Beziehungen setzen ein mit der Besiedelung der Le-
vante und den Kreuzzügen, werden vervielfacht durch die koloniale
Ausdehnung der europäischen Großstaaten und verallgemeinern sich
in dem Maße, wie die Verkehrstechnik fortschreitet.
Die Umgestaltung der Lebensweise tritt ferner zutage in dem zu-
nehmenden Wohlstande der europäischen : Völker, der teils durch die
Entwicklung der Technik, teils — und zwar zum größten Teil —
durch die Ausplünderung der außereuropäischen Menschheit hervor-
gerufen wurde.
Die Umgestaltung ergreift aber endlich. auch alle äußeren Lebens-
ordnungen der europäischen Welt. Der wichtigste Umstand ist hier,
daß sich eine Verstadtlichung vollzieht, damit also das auftritt, was
wir städtische Kultur nennen: eine Kultur, die getragen ist von Men-
schen, die nicht im Boden wurzeln und doch „Freie‘“ sind — dieses
Problem: grundbesitzlos und doch frei zu sein wird gelöst durch
das Aufkommen der berufsmäßigen gewerblichen Produzenten und
Händler —, eine Kultur, in der der Verstand die Führung über-
nimmt. Damit im engsten Zusammenhange steht die Entfaltung aller
Lebensformen in ihrer Eigengesetzlichkeit: sie werden der Ausrich-
tung auf ein jenseitiges Ziel entzogen. Der Mensch ist sich wieder
selbst genug: „Die Menschen können von sich aus alles, sobald sie
nur wollen‘ (L. B. Alberti). Alles menschliche Tun soll seinen Sinn
in sich selbst haben (also, wie man gesagt hat, im Grunde überhaupt
keinen Sinn mehr). Der Mensch wird wieder das Maß aller Dinge.
Diese Verweltlichung aller Lebensbetätigungen bedeutete aber das
Auseinanderbrechen der alten Einheitskultur,‘ die in dem
einen objektiven Geiste gewurzelt, die ihren Zusammenhang ge-
funden hatte in der Beziehung aller Menschen und Dinge auf den
einen Gott, der wie eine Sonne überallhin Licht und Wärme ge-
strahlt hatte.