Full text: Die Meistbegünstigung im modernen Völkerrecht

62 VII. Das Problem der grundsätzlichen Geltung des Meistbegünstigungsprinzips, 
indem sie ausdrücklich anerkannt hat, „quil appartient A chaque Etat 
de decider dans quel cas et quelle mesure cette garantie fondamentale 
doit Etre inseree dans un trait& determine.“ 
Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Handelspolitik der meisten 
Staaten, wenigstens Europas, gegenwärtig noch stark unter dem Ein- 
druck der Kriegsnachwirkungen steht, und es dürfte fast wahrscheinlich 
sein, daß das Problem der grundsätzlichen Geltung des Meistbegünsti- 
gungsprinzips aktuellere Bedeutung gewonnen haben wird, wenn erst die 
normalen handelspolitischen Beziehungen, auf die im Bericht abgestellt 
wird, gegeben sein werden. 
Auch in der praktischen Handelspolitik ist der Gesichtspunkt wirk- 
sam, daß für die Versagung der Meistbegünstigung besondere Umstände 
sprechen müssen; denn sie bedeutet für den betroffenen Staat eine 
positive Benachteiligung. So erklärt es sich, daß zwischen Ländern mit 
geringen Handelsbeziehungen, die keine besondere Note enthalten, die 
Vereinbarung der unbeschränkten, gegenseitigen Meistbegünstigung 
äblich ist. Es besteht in solchen Fällen weder ein Anlaß zur Privile- 
gierung, noch zur Benachteiligung, weshalb man sich dann auf der 
Grundlage der gegenseitigen Meistbegünstigung als einer Verlegenheits- 
klausel (die Verlegenheit des Buridanschen Esels) einigt*. Vgl. z.B. 
1 Der gleiche Gesichtspunkt ist von PoLLoxg in A. I. MAIne: Ancient Law, 
Note 4, S. 121, zur Begründung des völkerrechtlichen Grundsatzes von der Gleich- 
heit der Staaten angeführt worden: „The theoretical equality of independant 
states naturally follows from their recognition as analogous to free persons, who 
must have full and equal rights in the absence of any definite reason for inequality.‘“ 
— Dogmatisch besteht sonst m. E. keine Verwandtschaft zwischen dem Grundsatz 
der Meistbegünstigung (Gleichbehandlung durch einen dritten Staat) und dem 
Grundsatz der „‚Gleichheit der Staaten‘ im technischen Sinne. In der politischen 
Ideologie ist der letztere jedoch oft als materiell-demokratisches Prinzip gedeutet 
worden, welchem das subjektive Recht des einzelnen Staates auf Gleichbehandlung 
mit den übrigen Staaten entspringt. In diesem Sinne bekannte sich Secretary Roort 
(vgl. de Wırr DIcKınson: The Equality of States in international Law, 1920, S, 123) 
auf dem panamerikanischen Scientific Congress in Washington i. J. 1915 zu dem 
Grundsatz der Staatengleichheit wie folgt: „We believe in the independance and 
the dignity of nations ...and we hold the smallest state, be it upon an island of 
the Caribbean or anywhere in Central or South America, as our equal in dignity in 
the right to respect and in the right to the treatement of an equal. We believe that 
nobility of spirit, that high ideals, that capacity for sacrifice are nobler than ma- 
terial wealth. We know that these can be found in the little state as well as in the 
big one. In our respect for you, who are small and for you who are great, there can 
be no element of condescension or Patronage, for that would do violence to our 
Own conception of the dignity of independance and sovereignity.‘ — Die gleichen 
Gesichtspunkte, die hier für die Gleichheit der Staaten geltend gemacht werden, 
führten die meisten zivilisierten Staaten dazu, die Angehörigen fremder Nationen 
meistbegünstigt zu behandeln, ja sie weitgehend mit den Inländern gleichzustellen. 
Insofern sind gewisse ideologische Zusammenhänge zwischen beiden Prinzipien 
nicht zu verkennen.
	        
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