I, Einleitung.
Wenn man sich nunmehr im Kodifikationskomitee und vor allem im
Wirtschaftskomitee des Völkerbundes! auch mit den rechtlichen Fragen
der Handelsverträge energisch befaßt hat, sollte nicht nur theoretische
Arbeit geleistet werden, sondern man erkannte das dringende Bedürfnis
des internationalen Handelsverkehrs nach Rechtssicherheit und wollte
hierfür gemeinsam eine Grundlage schaffen. Das Wirtschaftskomitee
des Völkerbundes hat, den Empfehlungen der Weltwirtschaftskonferenz
folgend, dem Meistbegünstigungsproblem ein besonderes Studium ge-
widmet. Es hat dem Völkerbundsrat am 23. Jan. 1929 einen Bericht
unterbreitet, in welchem es zu wichtigen Zweifelsfragen in einer
theoretischen Untersuchung Stellung nimmt und alsdann als deren
Ergebnis eine Musterklausel für das Zollwesen (matiere douaniere)
entwirft, die beim Abschluß zweiseitiger Handelsverträge als Vorbild
dienen soll?,
Wenngleich die Rechtsausführungen in den Berichten der beiden
Völkerbundskomitees natürlich sehr beachtlich sind, so haben sie doch
keineswegs den bindenden Charakter einer authentischen Interpretation.
Wie die einzelnen Rechtsfragen entschieden wurden, scheint mir daher
weniger wichtig zu sein, als daß sowohl auf der Weltwirtschaftskonferenz
wie in den Völkerbundskomitees uneingeschränkt anerkannt wurde, daß
die Meistbegünstigungsklausel ihre wirtschaftlichen Funktionen nur er-
ais&ment retourner d’un cöte ou de l’autre suivant les besoins. — En effet, la clause
de la nation la plus favorisge se prete, suivant les cas, A toutes les interpretations.
Chacun dans la mesure de son interät peut y comprendre tel ou tel avantage sans
que nul y puisse contredire, A moins toutefois d’un interät contraire.‘‘
1 Vgl. Comit6€ Economique, Rapport au Conseil sur les traveaux de la 25. Ses-
sion vom 14. Juli 1928 C. 357. M. 111. 1928. II. — Vgl. ferner Rapport au Conseil
sur les Travaux de la 27. Session vom 23. Jan. 1929. C. 20. M. 14. 1929. II. —
Ferner Comite d’Experts pour la codification progressive de Droit international,
La clause de la nation la plus favorisge. C. 205. M. 79. 1927. V. — In diesem Zu-
sammenhange sei noch erwähnt: Comite Economique, Projet de Convention re-
latif au traitement des 6trangers. C. 174 M. 53. 1928. II. — Ferner hierzu
RABINOWITSCH: Der Völkerbund und die Meistbegünstigungsklausel, Heft ı2
des Wirtschaftsdienstes 1928.
2? Das Kodifikationskomitee hat sich schon im Jahre 1927 mit der ‘Frage be-
faßt, gelangte jedoch zu einem negativen Ergebnis. Es hat einen Unterausschuß
mit der Prüfung der folgenden Frage betraut: „S’il serait Possible, et dans quelle
mesure, d’arriver a un accord international sur les principales facons de de&terminer
et d’interpreter les effets de la clause de la nation la plus favoris6e dans les traites.“
Der Berichterstatter M. WicKeRsHAM hat daraufhin in einer theoretischen Ab-
handlung die juristischen Grundprinzipien der Meistbegünstigungsklausel dar-
gelegt. Auf Grund dieses Berichts ist das Kodifikationskomitee aus nicht klar er-
sichtlichen Gründen zu der Auffassung gelangt, daß eine Regelung der Meist-
begünstigungsklausel im Wege einer internationalen Konvention wohl wünschens-
wert wäre, jedoch auf ernste Widerstände stoßen würde und somit davon ab-
zesehen werden müsse.